Prinzessin Maria zur Lippe und Stephan Prinz zur Lippe

Prinz auf Augenhöhe

Dem Generationswechsel im Hause Lippe folgt ein Paradigmenwechsel, der sich nicht nur darin zeigt, dass Prinz und Prinzessin Stephan und Maria zur Lippe das fürstliche Residenzschloss in Detmold immer mehr für Kunst und Theater öffnen.

Von Dorothee Gräfin v. Walderdorff

Es begann mit einem großen Umzug. Nach dem Tod seines Vaters, Armin Prinz zur Lippe im August 2015, zog Stephan Prinz zur Lippe mit seiner Frau Maria, geborene Gräfin zu Solms-Laubach, fünf Kindern – Bernhard heute 22, Otto, 20, Wilhelm, 18, Luise, 16, und Mathilde, 14 – samt ihren beiden Hunden in einen bis dahin unbewohnten Trakt des im 16. Jahrhundert erbauten fürstlichen Residenzschlosses in Detmold. Gegenüber, im Westflügel wohnt seine Mutter, Traute Prinzessin zur Lippe. Im unteren Nordflügel werden Touristen auf Filzpantoffeln durch die fürstlichen Prunk räume geführt.

Mit Fantasie und Farbe meisterten der Prinz und die Prinzessin die Herausforderung, dem Haus neues Leben einzuhauchen. Sie installierten moderne Technik und erhielten dennoch den fürstlichen Glanz. Ein ehemaliger Salon wurde zur Küche. Unter dem herrschaftlichen Kronleuchter steht jetzt ein Hightech-Küchenblock, der Flatscreen für gemeinsame Filmabende mit der ganzen Familie ruht auf einer Barockkonsole im kleinen Salon, WLAN durchdringt die dicken Mauern. Sie wohnen, wie sie leben, setzen die Tradition fort, indem sie das Ererbte gestalten. „Man will schließlich nicht nur der Verwalter der Vergangenheit sein“, betont Prinz zur Lippe. Der neue „Chef des Hauses“ geht einem bürgerlichen Beruf nach, verdient mit seiner Rechtsanwalts- und Steuerberatungsgesellschaft „Kanzlei Prinz zur Lippe“ eigenes Geld. Dass er einmal die Nachfolge seines Vaters antreten würde, war dem einzigen Kind von Prinz Armin zur Lippe und seiner Frau Traute schon sehr früh bewusst, auch wenn er nach der Bundeswehrzeit als Jurastudent in Bonn und vor allem später, während seines ausgedehnten Studiums in Amerika, nicht täglich daran dachte. In Hamburg und später in Düsseldorf wuchs seine Leidenschaft zur Juristerei, große Mandate führten zu großen Erfolgen.

Und natürlich Maria! Beim Straßenkarneval in Köln lernten sich der Prinz und die aus Schloss Laubach in Hessen stammende Gräfin kennen. Er ein Einzelkind und sie die achte von neun Geschwistern. Der eine faszinierte den anderen. Sie verliebten sich, heirateten im Oktober 1994 und lebten sehr fröhlich in einer kleinen Wohnung in Düsseldorf. Ihr erstes Kind, Prinz Bernhard, nahm die unkonventionelle Maria, die damals Germanistik studierte, noch im Tragetuch mit in die Uni, der zweite Sohn, Otto, kam dann schon in Detmold zur Welt. Sie zogen in die „Schanze“, eine Villa mit Garten am Rand von Detmold, wuchsen aus der Distanz allmählich in ihre Rollen als „Fürstenpaar“.

Residenzschloss

In Lippe, und erst recht in Detmold, ist manches anders: Hier gibt es ein Landestheater, ein Landesmuseum, eine Landesbibliothek und ein gewaltiges Schloss in schönster Weserrenaissance auf dem die Flagge mit Rose und Krone weht. Gern wird der Landkreis Lippe, der exakt die Grenze des alten Fürstentums abbildet und am östlichen Rand von Nordrhein-Westfalen liegt, als eigenständiges Land gesehen, in dem alles irgendwie mit dem Fürstenhaus zusammenhängt, das hier über 800 Jahre lang regiert hat. Und wer die Rolle des heutigen Prinzen verstehen will, sollte die Geschichte kennen.

Söhne und Töchter beim Billiard­spiel

Fürstin Pauline flirtete einst mit Napoleon

Bernhard II. begründete um 1194 mit dem Bau der Falkenburg bei Detmold eine dynastische, also lehensunabhängige Landesherrschaft, die sich zu einem reichsunabhängigen Fürstentum entwickelte. Zu den berühmtesten Regenten des Landes gehört Fürstin Pauline zur Lippe, geborene Prinzessin zu Anhalt-Bernburg, die von 1802 bis 1820 für ihren minderjährigen Sohn regierte. Auf dem Ölgemälde im Ahnensaal wirkt sie etwas korpulent, vor allem aber sehr resolut.

Fürstin Pauline war eine für ihre Zeit ungewöhnlich gebildete und emanzipierte Regentin. Sie bezirzte Napoleon und sicherte mit dem „Flirt auf höchster Ebene“ ihrem Land und der vetterlichen Grafschaft Schaumburg-Lippe die Selbstständigkeit. Auf ihr Bestreben hin wurde Lippe als souveräner Staat in den Rheinbund aufgenommen und nicht von Preußen annektiert. Ein Schachzug, der ihr nach Napoleons Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 viel Kritik einbrachte. Dennoch: Lippes Souveränität wurde auf dem Wiener Kongress 1814/15 bestätigt. Und Fürstin Pauline ging vor allem als soziale Wohltäterin in die Geschichte ein. Um die kriegsbedingte Armut in ihrem Land zu lindern und die Arbeitskraft der Mütter besser zu nutzen, gründete sie die erste „Kinderbewahranstalt“ in Deutschland. Erstmals wurden Kleinkinder außerhalb der Familien betreut, sodass ihre Mütter auf den Feldern oder in Manufakturen arbeiten konnten, während die Männer in einem lippischen Regiment unter Napoleons Fahne im Feld standen. Darüber hinaus gründete die Fürstin eine Erwerbsschule, ein Armenhaus und eine Pflegeanstalt mit Krankenstuben. Die Einrichtungen haben in der „Fürstin Pauline Stiftung“ überlebt, in deren Stiftungsrat die Familie in ungebrochener Tradition bis heute mitwirkt.

Ahnensaal

Paulines Sohn Leopold II. kämpfte ein Leben lang mit dem politischen Erbe seiner Mutter. In die Geschichte ging er als lippischer „Theaterfürst“ ein. Er gründete das Hoftheater, an dem der gefeierte Komponist, Sänger und Schauspieler Albert Lortzing und später Johannes Brahms als Hofkapellmeister wirkten.

Als Paulines letzter Enkel – Fürst Woldemar – 1895 kinderlos starb, entbrannte zwischen den Linien Schaumburg-Lippe und Lippe-Biesterfeld der sogenannte lippische Thronfolgestreit um die Nachfolge in Detmold. Die Auseinandersetzung wurde schließlich durch ein Schiedsgericht unter dem Vorsitz des Königs von Sachsen zugunsten der Biesterfelder Linie entschieden. Ernst zur Lippe-Biesterfeld bestieg 1898 als Grafregent den Thron. Sein Sohn, Leopold IV., konnte noch 13 Jahre regieren.

Letzter Aufschwung und Thronverzicht

Die Regentschaft von Leopold IV. brachte neuen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung. Er gründete Staatswerkstätten, ließ viele Gebäude erreichten, die heute noch das Stadtbild prägen, wie die Regierungs- und Landtagsgebäude, ein neues Gymnasium und die Christuskirche, aber auch die 1938 zerstörte Synagoge. Auch seine große Liebe galt dem Theater. Mitten im Ersten Weltkrieg, 1914/15, ließ er das zwei Jahre zuvor abgebrannte alte Hoftheater wieder aufbauen.

1918 wurde Fürst Leopold IV. dann, wie alle deutschen Monarchen, zum Thronverzicht gezwungen. Er forderte eine Volksabstimmung, doch das verhallte ungehört. Inflation, Streitigkeiten mit dem Land Lippe und schließlich seine kritische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg prägten die zweite Hälfte seines Lebens. Als er 1949, im Alter von 79 Jahren starb, war die Welt eine andere. Als Erben in schwierigen Zeiten bestimmte er seinen jüngsten Sohn Armin. Armin Prinz zur Lippe übernahm die Nachfolge, allerdings ohne sich offiziell Fürst nennen zu dürfen.

Lippe war erst 1947 per englischem Besatzungsdekret in das neu gegründete Bundesland Nordrhein-Westfalen als dritter Landesteil eingegliedert worden. Der monarchistische Gedanke war offensichtlich noch so lebendig, dass der NRW-Innenminister sich genötigt sah, ihm das Führen des Titels „Fürst“ offiziell zu verbieten. Eine „Ehre“, die sonst nur deutschen Königen zuteilwurde und die Prinz Armin einmal scherzhaft kommentierte: Mit dem Titelverbot haben uns die Sozis versehentlich zu Großfürsten gemacht.“

Im Frühjahr 1953 heiratete Prinz Armin als promovierter Biologe seine große Liebe und Kommilitonin, Dr. Traute Becker. Als Chef des Hauses lenkte er dann die Geschicke seiner Familie fast ein halbes Jahrhundert lang, engagierte sich in vielen Ehrenämtern und gründete zusammen mit seiner Frau die „Lippische Gesellschaft für Kunst“ mit Sitz im Schloss. Mit ihren Ausstellungen berühmter zeitgenössischer Künstler wie Henry Moore, Horst Antes, HAP Grieshaber oder Stephan Balkenhol erlangte sie schnell überregionale Bedeutung.

Im August 2015 starb Armin Prinz zur Lippe im Alter von 91 Jahren. Jetzt ist sein Sohn Stephan an der Reihe, die undefinierte Rolle eines Fürsten in der Demokratie auszufüllen.

100 Jahre nach der Monarchie

Auch heute noch, genau 100 Jahre nach der Abdankung seines Großvaters, Leopold IV., zählt die Meinung des Prinzen im öffentlichen Raum. Würdenträger machen ihren Antrittsbesuch im Schloss, eine Theaterpremiere ohne den Besuch der Fürstenfamilie kommt nur selten vor. Prinz zur Lippe ist sich dessen bewusst.

„Auf Augenhöhe“, so betont er gern, engagiert er sich in Vereinen, im Kirchenvorstand und in der Kommunalpolitik. Er ist Kreistagsmitglied und war lange auch im Stadtrat. Als Kirchenvorstand ist er Lektor, liest traditionell am Heiligen Abend in der überfüllten Detmolder Stadtkirche die Weihnachtsgeschichte, während seine Frau und die Kinder im Kirchenchor singen und den Klingelbeutel einsammeln.

„Unsere Tage sind getaktet, die Wochen sind voll“, erzählt Maria Prinzessin zur Lippe, die sich neben der Erziehung ihrer fünf nach und nach ins Studium strebenden Kinder unter anderem als Vorsitzende des Ortsvereins des DRK Detmold und im Stiftungsrat einer großen diakonischen Einrichtung engagiert.

Ihr Status als Fürstenfamilie birgt viele Pflichten, bietet allerdings auch die Möglichkeit, eigene Ideen zu verwirklichen, Akzente zu setzen: „Wir wollen das Haus für Kunst und Kultur weiter öffnen“, hat sich Prinz zur Lippe vorgenommen. Als „ausbaufähig“ bezeichnet er, was mit Kammerkonzerten im Ahnensaal angefangen hat. Nun gibt es jährlich ein „Schlossfestival“ mit sommerlichen Serenaden im Schlosshof und Shakespeare-Lesungen im Schlosspark. Ein glanzvoller Höhepunkt war die Aufführung des „Jedermann“ im illuminierten Innenhof. In diesem Jahr wird der Höhepunkt des Festivals die Aufführung des „Hund von Baskerville“ im Rahmen einer englischen Woche sein. Derzeit ist im Schlossmuseum noch die wirklich lohnenswerte Ausstellung „Kindheit im Schloss“ zu sehen. Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit dem Landesmuseum und dem Freilichtmuseum. Daran könnten sich noch weitere Kooperationen anknüpfen, hofft Prinz zur Lippe und hat viele originelle Ideen, wie man zeitgenössische Kunst mit seinen historischen Schätzen kombinieren könnte.