Weitenburg

„Ich bin gern der ‚Ladenhüter‘!“

Max-Richard Freiherr Raßler v. Gamerschwang „hütet“ die schwäbische Weitenburg und managt seinen „Laden“ mit Schlosshotel, Gourmetrestaurant, Land- und Forstwirtschaft, Reitbetrieb und einem Golfplatz.

Von Dorothee Gräfin v. Walderdorff

Entweder ich komme jetzt nach Hause, oder ich komme gar nicht mehr“, schrieb der junge Baron Raßler in einem Brief an seinen Vater und stellte damit die Weichen für seine Zukunft. Er war damals 29 Jahre alt, hatte sich als jüngster Hoteldirektor Mainfrankens bewährt, der nächste Karriereschritt stand bevor. Der gut ausgebildete Hotelier schwankte zwischen der weiten Welt und seiner schwäbischen Heimat. Als Reisebegleiter seiner polyglotten Großmutter, Giséle Freifrau v. Raßler geb. Reinbold, einer auf Haiti geborenen Hamburger Kaufmannstochter, hatte er das Leben in Grandhotels kennengelernt und war davon fasziniert.

Doch der Drang nach Hause war stärker. Auf der Weitenburg hatte er seine Kindheit verbracht, bot der vom Vater ausgebaute Betrieb mit Hotel und Restaurant die ideale Zukunftsperspektive. Seine Brüder, Franz (geb. 1961) und Alexander (geb. 1967) gingen eigene, andere Wege. Heute leitet Franz Freiherr v. Raßler das Dorotheum in München, sein Bruder Alexander ist Innenarchitekt. Mit einer Ausbildung im Hotelfach, einem betriebswirtschaftlichen Studium an der Höheren Hotelfachschule in Heidelberg und seinen in mehreren Hotels gesammelten Erfahrungen war Max-Richard der geeignete Nachfolger auf der Weitenburg.

Seit 1720 leben die Freiherrn v. Raßler schon auf ihrer Burg über dem Neckar. Der König von Württemberg, der schwäbische Adel wie die Berlichingens, die Adelmanns, die Woellwarths und die Gaisbergs verkehren hier seit Jahrhunderten, haben sich mit ihren Wappen im „gläsernen Gästebuch“ an den Fensterscheiben verewigt. Es galt eine lange Tradition fortzuführen. Sein Vater dachte ebenso und antwortete prompt auf den Brief seines Sohns: „Komm jetzt!“ Bald darauf wurde der Heimkehrer in die Familien-WG, bestehend aus seinen Eltern, Max-Richard Frhr. Raßler v. Gamerschwang und seiner Frau Helga geb. Matthes, seiner damals bereits knapp 90-jährigen Großmutter und einer unverheirateten alten Tante aufgenommen. Für den knapp 30-Jährigen durchaus gewöhnungsbedürftig. Dazu kam, dass der zurückgekehrte Sohn anfangs noch im Gutssekretariat „geparkt“ wurde. Was sich nicht wirklich adäquat anfühlte, erwies sich im Nachhinein aber als guter Start. Hier liefen die Fäden zusammen, am Schreibtisch lernte der künftige Erbe den Betrieb in und um die Weitenburg in allen Details kennen.

Freiherr Raßler v. Gamerschwang

Vorreiter der offenen Häuser

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Der Senior, Max-Richard Freiherr Raßler v. Gamerschwang (1929–2013) hatte mit nur 22 Jahren das Gut von seinem Vater Joseph Freiherr v. Raßler, dem letzten Majoratsherr der Weitenburg, übernommen. Er zog, wie er gern betonte, „rechtzeitig die Reißleine“ und öffnete schon 1954 die Weitenburg für zahlende Besucher. Im Restaurant in der ehemaligen Burgküche und auf einer neuen Terrasse wurden schwäbische Spezialitäten bei einmaligem Blick über das Neckartal serviert. Später kam dazu noch der Hotelbetrieb mit Übernachtungen in den Gästezimmern der Familie. Als erster Schlossherr in Baden-Württemberg öffnete der Baron seinen privaten Salon für standesamtliche Trauungen, baute einen Reitbetrieb auf und legte 1984, ebenfalls als einer der Ersten, unterhalb der Schlossmauern auf den Neckarwiesen einen Golfplatz an.

„Heute profi tiere ich von der Progressivität meines Vaters“, sagt der mittlerweile 55-jährige Baron Raßler. Anfangs jedoch war das Leben im Schatten eines Patriarchen nicht immer einfach. Der passionierte Reiter gab die Zügel nur ungern aus der Hand, hielt den Sohn auf Distanz. Auch später noch, als der Junior den ausscheidenden Hoteldirektor ersetzen konnte.

Mit dem Tod der geliebten Großmutter löste sich die WG auf. Die Tante zog aus, die Eltern bezogen ihr Altenteil, ein gemütliches Forsthaus mit angrenzender Pferdekoppel. Max war allein zu Haus – aber längst nicht Chef des Hauses. Erst nach neunjähriger „Probezeit“ überschrieb ihm sein Vater den Besitz – „blieb aber irgendwie doch immer der Boss“, erzählt Raßler. Der Sohn übte sich in Geduld. „Immer wieder rieten wohlmeinende Freunde mir, endlich Klartext zu reden. Aber ich wollte keinen Krach, keinen Krieg zwischen mir und meinem Vater“, erklärt er. „Heute bin ich unendlich froh darüber. Als mein Vater 2013 für uns alle überraschend starb, hatte ich an seinem Grab nichts zu bereuen.“

Flur der Burg

Gemischtwarenhandel mit großem Angebot

Seit vor zwei Jahren auch seine Mutter verstorben ist, fühlt sich Max-Richard Baron Raßler v. Gamerschwang als der „Ladenhüter“ – und sein „Laden“ läuft, wurde unter seiner Leitung straffer organisiert. Der Senior beschäftigte noch einen Verwalter, einen Förster, einen Reitlehrer und den Hoteldirektor. Max Raßler teilt sich den Förster mit zwei Nachbarn, die Landwirtschaft, den Golfplatz und die Reitanlage hat er verpachtet, die Aufgaben des Hoteldirektors selbst übernommen. Früher arbeiteten 15 Angestellte für und in der Gutsverwaltung, heute sind es nur noch zwei. Weniger Beschäftigte, aber mehr Angebote, so lautet das Konzept des erfolgreichen Unternehmers. Geschickt nutzt Raßler seine Räumlichkeiten, erfüllt die Sehnsüchte einer wohlhabenden Klientel aus Stuttgart und Umgebung, erweiterte das Hotel und machte aus den Wohnungen seiner Eltern und seiner Großmutter weitere Gästezimmer. In stilvoll eingerichteten Schlafzimmern ruhen Manager, Hochzeitsgäste und müde Golfer unterm Baldachin, können nicht nur im Restaurant, sondern auch im ehemaligen Salon seiner Großmutter speisen, als wären sie bei der alten Baronin persönlich zu Gast. Die Tapete, die Möbel – alles ist geblieben, wie es einmal war. Nur am Abend, da wird nicht mehr die von einer schwäbischen Köchin mit Petersilie verzierte Hausmannskost gereicht. Aus der Schlossküche tragen Kellner gebackene Austern nach oben, dem folgen zarte Rinderfilets und Bisquits mit weißer Schokoladenmousse. Die Küche in der Weitenburg ist ein Geheimtipp für Gourmets, bietet aber auch Deftiges für Golfer, Biker oder Wanderer. Die Speisekarte spiegelt das Raßler’sche Prinzip: multifunktional! Er nutzt Haus und Hof für unterschiedlichste Events. Schnell wandelt sich der rote Salon vom eleganten Trauzimmer zum Schulungsraum. Gerade wird der ehemalige Jagdsaal in einen „multifunktionalen“ Veranstaltungsraum umgerüstet, mit LED-Lichtbändern für Tagungen und Kronleuchtern für rauschende Feste.

Feiern an den Wochenenden, Kongresse und Seminare unter der Woche, Golfer und Ausflügler an allen Tagen – die Weitenburg ist ausgelastet. Und ihr Chef auch.

antike Badewanne

Jagd auf Kunstschätze

Selten gelingt Baron Raßler die Flucht in sein neogotisch eingerichtetes Studierzimmer, zu seinen auf Auktionen erstandenen Schätzen. Antiquitäten sind seine Leidenschaft, der Auktionshammer ist für den feinsinnigen Ästheten wie das Halali für einen Jäger: „Ich spreche das Stück an (biete), mit etwas Glück erlege (kaufe) ich es und hänge es mir dann als Trophäe an die Wand.“ Sein letzter „Schuss“ galt einem riesigen Wandteppich mit barocker Jagdszene, den er kürzlich bei Christie’s in New York ersteigerte. Der Kunstkenner liebt die Kombination von Antiquitäten mit modernen Farben und Formen. Sein Betriebsbüro ist von stilvoller Eleganz und Zentrum seiner Aktivitäten. Neben dem Betrieb und eigenen Veranstaltungen engagiert sich Raßler in der Kommunalpolitik (FDP), im Kirchengemeinderat, bei der IHK und ist Ritterhauptmann beim Sankt Georgenverein, dem Verband der ehemaligen schwäbischen Rittergutsbesitzer. _„Ehrenamtliches Engagement ist mir wichtig“ betont er. „Dafür nehme ich mir die Zeit, die ich habe, weil ich keine Frau und keine Kinder habe.“ Spätestens jetzt drängt sich die heikle Frage nach einem Nachfolger auf. Wer setzt die Tradition auf der Weitenburg fort? „Das werde ich so häufig gefragt“, stöhnt der Junggeselle. „Aber auch für die Zeit danach habe ich mir ein vernünftiges Konzept überlegt. Bis dahin bin ich gern der ,Ladenhüter‘ auf der Weitenburg.“