Schloss Neumark

Mit Schwung & Gottvertrauen

Nach Vertreibung, DDR-Zeit und Rückgewinnung machen Benno v. Römer und seine Frau Dorothee aus Gut Neumark in Sachsen wieder einen florierenden Betrieb.

Von Dorothee Gräfin v. Walderdorff

Die suchen wohl eine Schwiegertochter!“, murmelte Ilse von Schönberg mit Blick auf ihre Tochter Dorothee. Der Satz blieb hängen. Die Erinnerung an das Teestündchen in Reichstädt auch: Gesa v. Römer geb. Freiin v. Funk hatte sich im Sommer 2006 mit ihren Söhnen Alvo und Benno zum Tee in Reichstädt angesagt. Man hatte sich lebhaft über die Mühen der Wiedereinrichter ausgetauscht, mit praktischen Tipps versorgt und sich als Schicksalsgenossen gefunden. Die „Rettung von Schloss Reichstädt“ kann man im Deutschen Adelsblatt 3/2020 nachlesen. Auch dies ist die Geschichte von Wiedereinrichtern, die auf das Gut ihrer Vorfahren zurückkehrten und es zum Blühen brachten.

Im Schreckensjahr 1945 wurde Friedrich v. Römer, der in der 14. Generation das Gut Neumark im Vogtland bewirtschaftete, vertrieben, enteignet und mit seiner Familie auf die Insel Rügen deportiert. Über Umwege und viele Entbehrungen fanden die Römers in München eine Bleibe – aber keine Heimat. Gleich nach der Wende, 1990, strebte Achim v. Römer die Rückkehr auf das enteignete Gut seines Vaters an. Es folgten nervenaufreibende Verhandlungen mit der Treuhand, viel Enttäuschung über die Entscheidungen der damaligen Regierung unter Kanzler Kohl. Aber er ließ sich nicht entmutigen, sein Sohn Benno entwickelte sich zum engagierten Mitstreiter.

Benno, der jüngere seiner beiden Söhne, hatte in München Betriebswirtschaft studiert. Als die Mauer fiel, arbeitete der damals 27-Jährige bei Siemens Nixdorf im Bereich Telekommunikation. Er verdiente gut, München bot viele Möglichkeiten, aber sein Herz schlug für Neumark, das abgewirtschaftete Gut seiner Vorfahren im Osten. Nach der Enteignung wurde der landwirtschaftliche Betrieb 1945 in Staatseigentum überführt. Der damalige Musterbetrieb, der für die Versorgung der sowjetischen Militärs zuständig gewesen war, blieb von der Bodenreform verschont und wurde nach Gründung der DDR zum VEG-Betrieb mit Schwerpunkt Schafzucht und Ausbildung von Schäfern. Nach der Wende wurde das Gut von der Treuhand übernommen. Mit ihr lagen Achim v. Römer und sein Sohn Benno im Streit, erreichten nach zähen Verhandlungsrunden schließlich einen Teilerfolg und konnten 1993 den enteigneten Besitz pachten, mussten allerdings das „schrottige Inventar“, wie Benno v. Römer noch immer erbost am Telefon berichtet, „für 60 000 DM kaufen, um es später mit einem Tieflader zur Schrottpresse zu bringen“.

Fünf Jahre lang packte Benno v. Römer zwei Leben in eines. Er ließ sich nach Berlin versetzen, von da aus nach Leipzig, dann nach Chemnitz, näherte sich nicht nur geografisch seiner neuen, seiner eigentlichen Lebensaufgabe.

„Wir machen schon noch einen Landwirt aus ihnen“, versprach ihm ein Schäfer, als der junge Mann mal wieder mit Schlafsack, Handy und Laptop auf den Hof fuhr und versuchte, neue Zeiten mit liberalem Führungsstil einzuführen. Einfach war das nicht. Die Landarbeiter waren gewohnt, „par ordre du mufti“ zu funktionieren, kooperatives Mitdenken überforderte sie. Der „Wessi“ musste sich gegen Vorurteile und tief verwurzelte Ängste behaupten.Ende 1995 beschloss Benno v. Römer, sich ganz der Bewirtschaftung des Gutes zu widmen.

„Anfangs dachte ich, das war der größte Fehler meines Lebens! Ich saß in meinem eiskalten Büro – statt in meine Bequemlichkeit wollte ich lieber in die Landwirtschaft investieren – und starrte auf das Telefon. Keiner wollte was von mir!“, erzählt er. Im Frühjahr aber wurde vieles besser. Mit zwei Angestellten aus dem alten VEG führte er den Betrieb in eine neue Ära. Als einer der ersten in Sachsen beteiligte sich Achim v. Römer am Flächenerwerbsprogramm und kaufte 350 Hektar Wald. Der erste eigene Grund und Boden war der Beweis, dass Hoffnung zur Realität werden kann. Zwei Jahre später gelang es der Familie schließlich, den Gutshof von der Treuhand zu kaufen.

Hofgarten

Rückkehr nach Neumark

Sie sind wieder zurück! Vater, Mutter und Bruder kommen häufig aus München, helfen bei den nun anlaufenden Renovierungsarbeiten am Gutshaus. Jetzt klingelt das Telefon wieder. Der Anbau von Winterraps, Winterweizen und Leguminosen muss organisiert, der Wald umgebaut und das ursprüngliche Standbein des Betriebs, die Schafzucht, weitergeführt werden. Seit 1761 werden auf dem Neumark-Hof Schafe gezüchtet. Heute führen die 350 Mutterschafe und ihre Vogtlandlämmer ein paradiesisches Leben. Bis zum ersten Frost tummeln sie sich auf den Weiden, den Winter verbringen sie in einem großen offenen Schafstall mit Auslauf ins Freie.

Als am 7. Oktober 2000 der Senior Achim v. Römer starb, wurde er in der Familiengruft bestattet. Es war die Erfüllung seiner lebenslänglichen Sehnsucht und Trost für die Hinterbliebenen. Die 15. Generation, Benno v. Römer, hatte erfolgreich übernommen. Nun musste und sollte es weitergehen.

Deshalb das Teestündchen in Reichstädt und wenig später der Sachsen-Ball in Meißen. Eher unwillig zwängte sich der Landwirt in den Smoking, in der Hoffnung „ein paar nette Töchter von Wiedereinrichtern zu treffen“. Und das passierte mit Dorothee aus Reichstädt.

Allerdings lebte die ausgebildete Eventmanagerin damals in Salzburg und hatte dort mit zwei Partnern eine Eventagentur aufgebaut. Alle zwei, spätestens drei Wochen aber zog es die Jungunternehmerin nach Reichstädt, und sie tauchte ein in die Welt der Wiedereinrichter. Dann kam die Liebe und mit ihr die Entscheidung für den einen ihrer beiden Lebensentwürfe. Zwei Jahre nach dem legendären Teestündchen und dem „Zackenschwof“ in Sachsen heirateten Benno und Dorothee. Ihr erstes Kind, Georg Carl Caspar Haubold, wurde noch in Salzburg geboren. Dann zog Dorothee v. Römer mit dem Stammhalter auf dem Arm in Neumark ein. „Ein harter Schnitt ist einfacher als weiche Vergleichbarkeit“, erklärt sie mir. Sie fühlte sich „wie in eine andere Zeit gefallen. Man ist da, und es geht los. Kind, Betrieb. Sanierung. Ich hatte keine Zeit zum Grübeln und habe nichts vermisst.“

Anlage

„Mit Schwung und Gottvertrauen“,

so die Pfarrerstochter, nahm sie die Herausforderung an. „Es war ein Vakuum, in dem ich meine Ideen entwickeln und verwirklichen konnte. Immer und sofort.“ Sie gründete die Agentur „von Römer consulting & events“, organisierte 2008 ihren ersten Weihnachtsmarkt, bald darauf auch einen Ostermarkt.

„Man muss authentisch bleiben, darf sich nicht an den Landpartien im Westen orientieren“, lernte sie aus Erfahrungen. Beim Ostermarkt ist es die Eiermalerin aus dem Nachbarort, die die mittlerweile 3000 bis 4000 Besucher mehr begeistert als silberne Teekannen aus England.

Gemäldegalerie

Ihre Tatkraft war und ist unerschöpflich

Zwischen den Geburten der weiteren Kinder – Anna (2012), Max (2013) und Felicitas (2015) – plante und organisierte die vierfache Mutter die Sanierung der Hofgebäude. Aus einer Scheune wurde ein Hofladen, Neumark wird zur begehrten Hochzeitslocation. Die Kirche klebt quasi hinter dem Gutshaus, viel häufiger genutzt wird jedoch das Angebot einer freien Trauung in der Hofscheune oder auf der „Trauwiese“ im Park. Mittlerweile machen die Hochzeiten 90 Prozent der Veranstaltungen aus. „Dieses Jahr wird explodieren“, stellt Dorothee v. Römer mit Blick auf die vielen Buchungen fest.

Dafür hat die Eventmanagerin hart gearbeitet, jede Hochzeit exakt geplant und mit liebevollen Ideen ausgeführt. Damit die Hochzeitsgäste lange feiern und anschließend in weiche Betten fallen können, wurde der „Aufenthaltstrakt“ der ehemaligen DDR-Arbeiter in gemütliche Gästezimmer umgebaut. „Davor musste ich allerdings erst einmal viele Poster von nackten Frauen von den Wänden reißen“, schmunzelt die Bauherrin. Eine zusätzliche originelle Schlafstätte schuf Dorothee v. Römer mit drei mobilen Übernachtungsfässern. Mit Blick in den Park kann man wie einst Diogenes im Fass sinnieren, schlafen oder dem Zirpen der Grillen lauschen. Circa 20 Schlafplätze bietet Gut Neumark mit den umliegenden Übernachtungsquartieren, genug für eine große Familie, die auf den Spuren ihrer Vorfahren in den Osten reist.

Historisch Interessierten bietet die Gutsherrin Führungen durch das zum Gut gehörende Schloss Neumark an. Der gern auch „Rumpelburg“ genannte leer stehende Herrensitz wurde zu DDR-Zeiten als Kindergarten, TBC-Heilstätte und Krankenhaus für Kinderpsychiatrie genutzt. Ein Jahr nach dem Tod seines Vaters kaufte Benno v. Römer auch dieses zurück. Noch allerdings hat das betriebliche Wachstum Vorrang, müssen die Renovierungsarbeiten warten. Solange bleibt die Burg eine Attraktion für die Gäste. „Geschichte wird lebendig, wenn man die Spuren der Ereignisse an einem Gebäude zeigen kann“, merkt Dorothee v. Römer immer wieder an den spannenden Diskussionen nach ihrer Führung. „Fast schade, wenn das Schloss saniert wird“, stellt sie mit einem Augenzwinkern fest. Dennoch: Das Notwendigste wird schon jetzt gemacht. Der nächste Schuttcontainer am Schloss wird gerade gefüllt. „Mit Schwung und Gottvertrauen“ gehen die Römers auch diese Aufgabe an.

Infos zwecks Reservierung unter: www.gut-neumark.de.