Schloss potsdam

Potsdams unterschätzte Perlen

Schloss Sanssouci ist das erste Ziel des preußischen Kulturtourismus. Aber daneben gibt es noch weitere Attraktionen, die zum Weltkulturerbe rund um Potsdam gehören: Nehmen wir nur die Pfaueninsel mit ihrem Lustschlösschen oder das Schloss Paretz, das Lieblingsrefugium des preußischen Königspaars Friedrich Wilhelm III. und seine Luise.

Von Christian Personn

Eine Geschichte, die heute beim Staatsanwalt gelandet wäre – und in #MeToo-Zeiten als skandalöser Stoff für Boulevardblätter dienen würde. Im Sommer 1766 rauschten aber nur die Blätter der Eichen auf der Insel in der Havel, die damals noch Kaninchenwerder hieß. Dorthin, in die ungestörte Einsamkeit, hatte sich der 22-jährige Kronprinz Friedrich Wilhelm, der später „Lüderjan“ (Taugenichts) genannte Preußen-König Friedrich Wilhelm II. (1744–1797), mit der dreizehnjährigen Wilhelmine Enke (1752–1820), Tochter eines Hornisten im königlichen Orchester, übersetzen lassen.

Doch diese Liaison war nicht der einzige Skandal auf der Insel. Etwa hundert Jahre vorher hatte ein mysteriöses Treiben für Aufsehen gesorgt: Der Alchemist Kunckel von Löwenstein experimentierte auf dem Eiland im Auftrag des Kurfürsten Friedrich von Brandenburg im Geheimen. „Der Mann soll für unseren Kurfürsten Gold machen“, munkelte man. Und weiter: „Da muss er mit dem Teufel einen Pakt geschlossen haben.“ Was dort wirklich vor sich ging? Der Chemiker stellte in seinem Laboratorium Goldrubinglas her. Produkte aus diesem hochwertigen Material galten damals als Luxusgüter, die sich hervorragend zum Export eigneten. 1689 zerstörte ein Brand das Labor. Damit nicht genug. Der kurfürstliche Nachfolger Friedrich III. ließ den Chemiker als Hexer anklagen, verbannte ihn. Johann Kunckel flüchtete verarmt nach Schweden, starb schließlich 1703. Doch seine verfluchte Seele, so heißt es, blieb auf der Pfaueninsel zurück – als schwarzer Schatten, der gegen Mitternacht mit rot glühenden Augen umherstreift. Ein Gedenkstein erinnert noch heute an den Chemiker, und sein Name wird seitdem untrennbar mit dem rubinroten Glas verbunden.

Hofgarten

Der Beginn der Havelidylle

Solch Aberglauben hat Jahrzehnte später die beiden „Eroberer“ Friedrich Wilhelm und seine Wilhelmine nicht davon abgehalten, die Pfaueninsel als Liebesnest zu nutzen. Mit Folgen: Die junge Geliebte brachte mit gerade mal fünfzehn Jahren das erste gemeinsame Kind zur Welt. Es blieb nicht dabei, vier weitere sollten folgen. Doch Wilhelmine Enke, spätere Madame Ritz sowie Gräfin von Lichtenau, wurde nicht geehelicht, sie blieb Friedrich Wilhelms Mätresse. Dafür wurde sie die maßgebliche Planerin bei der Verwandlung der 76 Hektar großen Pfaueninsel in ein „rätselvolles Eiland“. Die mehreren Schönheitsoperationen unterzogene Natur auf der Insel schmeichelte im Zusammenklang mit stilvoller Baukunst sozusagen dem Auge. Theodor Fontane umschrieb sie als „sentimentaler Landschaftsgarten“.

In drei Jahren Bauzeit entstand am Ufer der Westspitze das einer gotischen Ruine nachempfundene Lustschloss. Die an die Südsee angelehnten Innenräume sollten Friedrich Wilhelm und Wilhelmine als exotisches Romanzenplätzchen dienen. (Leider ist das so farbenprächtige Gebäude aufgrund von Restaurierungsarbeiten derzeit für Besucher gesperrt.) Neben der Romantik war dem Paar aber auch die Landwirtschaft wichtig, nämlich um auf der Insel in der Havel autark von Berlin leben zu können. Und so wurde in den nassen Wiesen im Osten der Insel eine Meierei errichtet – weit genug entfernt, damit die „Düfte“ des königlichen Stallviehs nicht zur Südsee-Idylle herüberziehen konnten.

Kaum war das Richtfest gefeiert, verwaiste das Liebesnest – der König war gestorben. Zeitgenossen kommentierten seinen Tod mit den Worten „Wohl ihm! Wohl uns!“. Kein Wunder: Seine Regentschaft war wegen des sinnlosen Krieges 1792 gegen das revolutionäre Frankreich, seiner Verschwendungssucht sowie der ausufernden Günstlingswirtschaft ein Tiefpunkt preußischer Machtausübung.

Anlage

Die nächste Generation Bauherren

Sein Sohn und Nachfolger, Friedrich Wilhelm III. (1770–1840), baute die Insel weiter aus und machte sie zu dem, wofür sie heute steht. Im Westteil das Prächtige mit Schloss, Rosengarten und Palmenhaus, im Osten das Bodenständige mit Meierei, Feldern, Wiesen. Zu Anfang seiner Regentschaft zog er sich im Sommer mit Gattin Luise, geborene Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz, oft auf die Pfaueninsel zurück. Im Zentrum der Insel, heute im Stadtteil Wann see, hatte Friedrich Wilhelm III. eine Menagerie bauen lassen, drum herum entstand ein eher zoologischer als botanischer Garten. Architekt war der preußische General-Gartendirektor Peter Joseph Lenné. Ab 1821 entstanden eine Fasanerie, Käfige und Gebäude für Lamas, Affen, Löwen und Kängurus, ebenso Volieren, eine Büffel- und eine Biberbucht, ein Hirschgehege und – nachdem sich die Braunbären mehrmals losgerissen hatten – eine Bärengrube. 1832 wurde eine eigene Menagerie-Verwaltung eingerichtet; zu diesem Zeitpunkt zählte man bereits 847 Tiere. Viele von ihnen wurden später in den neuen Garten in Berlins Zentrum verlegt, Grundstock des weltberühmten Zoos am Kurfürstendamm.

Paretz wird zum neuen Fluchtort

Königin Luise fand über die Jahre kein großes Gefallen mehr am Leben auf der Insel. Ihr schwebte jetzt eher ein Landhaus vor. Und das entstand nun in Paretz, im Norden des heutigen Potsdam, gut 25 Kilometer von der Pfaueninsel entfernt. Friedrich Wilhelm III. hatte sich an das Gut dort aus Kindertagen erinnert.

Und so wurde kurzerhand ein neues Schloss geplant: äußerlich schlicht, innen aber reichlich pompös. Hinter strengen Fassaden verbergen sich somit prächtige Räume, die Wände sind mit wertvollen Tapeten bespannt. In dem Vestibül sind sie zum Beispiel. „nach blauer schlesischer Marmorart gemalt“. Links schließt sich ein wunderschönes Billardzimmer an, dann das Wohnzimmer der Königin, ausgestattet mit einem Sofa, einem zierlichen Sekretär und einem Tafelklavier. Über das kleinere von zwei Treppenhäusern gelangt man in das Arbeitszimmer des Königs.

Von dort geht es ins Schlafzimmer des Königspaars, mit zwei Himmelbetten darin. Das Königspaar erlaubte sich in Paretz, das Schlafzimmer zu teilen, was bei Hofe undenkbar war. Sie machten Spaziergänge, Ausflüge mit Boot und Kutsche in die nähere Umgebung, gingen zur Jagd und vergnügten sich bei Gesellschaftsspielen. Das Königspaar genoss es, dem strengen Hofzeremoniell und den Pflichten in Berlin für einige Wochen im Jahr zu entkommen.

Jedoch: So einfach und frei von Etikette, wie es sich anhört, war das Landleben dann doch nicht. Machte sich der Hof im Spätsommer von Sanssouci in das Haveldorf auf, wurde alles mitgenommen, was zu einem angenehmen Lebensstil gehörte. Vierzig Kutschen, jeweils von Vier- bzw. Sechsspännern gezogen, waren dazu nötig. Für die Versorgung mit Lebensmitteln und für den Transport der Besucher fuhren im Schnitt täglich zwanzig weitere Kutschen das Dorf an. Denn in Paretz wurde auch zu höfischen Festen mit Gästen des Landadels geladen. Durch einen „Kaufzettel und Nachweisung deren Ausgaben“ vom 30. September 1804 für einen Ball wissen wir, dass damals die Menüfolge aus 28 Positionen bestand. Zu Beginn gab es Bouillon, dann Pasteten, „Haasenkuchen“, „Rebhünerkäse“, Fleischgerichte – begleitet von „Schneidebohnen à la Foulette mit Cotellettes und Omelets“ sowie „Spinath mit Fricandeaux und weiche Eier“ – und schließlich die köstlichsten Nachspeisen. Wer an welcher Tafel Platz nehmen durfte, bestimmte natürlich auch hier die höfische Hierarchie.

Doch der Krieg Preußens gegen Napoleon beendete die jährlichen Aufenthalte des Hofes vor den Toren Berlins. Luise kam nach ihrem Exil in Königsberg und Memel nur noch einmal, im April 1810, in ihr geliebtes „Schloss-Still-Im-Land“. Friedrich Wilhelm III. besuchte Paretz mit seiner Tochter Charlotte kurz nach dem frühen Tod Luises: In der Kirche breiteten sie ein hellblaues, mit Silberfäden besticktes Seidentuch über den Altar – es war eines der letzten von der Königin getragenen Umschlagtücher. Es gehört seither zum Ausstellungsinventar. Der König hing sehr an dem gemeinsamen Rückzugsort. So lag es nahe, dass die Kinder aus dem Schloss einen Ort der Erinnerung an ihre Eltern machten und kaum etwas veränderten – dieser Zustand blieb bis 1945 weitgehend erhalten.

Gemäldegalerie

Das Schicksal der Pfaueninsel

Das Eiland in der Havel fiel schon 1861 in eine Art Dornröschenschlaf – als Wilhelm IV., der Sohn des Königspaars, starb. Da das Königshaus nun kein Interesse mehr an dem Ort hatte, wurde auch bei den Aufwendungen für die Anlage, speziell für die Gehege, gespart: Die Tiere kamen nach Berlin – bis auf die Pfauen, die der Insel ihren Namen gaben. Der Rosengarten wurde 1870 noch einmal erneuert, aber bald darauf zerstörten Ausflügler die Anlagen.

Im Dritten Reich nahm die Pfaueninsel – im überragenden Sinne – nochmals Schaden. Zum Abschluss der Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin bestimmten die Nationalsozialisten sie zum Schauplatz für ein skurriles Spektakel. Am 15. August fand eine feierliche „italienische Nacht“ statt: Pioniere hatten eine Schiffsbrücke zur Insel gelegt, junge Mädchen in Renaissancekostümen dienten als Pagen, das Opernballett tanzte bei Fackelschein, überall in den Bäumen gab es Girlanden von Lampions. Abschluss war ein Feuerwerk – nach dem Willen des Gastgebers Goebbels das größte, das die Welt je gesehen hatte. Auf der Gästeliste standen insgesamt tausend Prominente: ein König und ein Herzog, mehrere Kronprinzen, Lords und Ladys, das Internationale Olympische Komitee und die deutsche Reichsregierung, eine Reihe von Botschaftern, nicht zuletzt die Söhne Mussolinis. Das ausufernde Feuerwerk weckte ungute Assoziationen auf den todbringenden „Lärm“ der folgenden Kriegsjahre mit Luftangriffen und Artilleriefeuer.

Mit einer kurzen Episode war die Pfaueninsel auch noch in den Untergang des Naziregimes verwickelt: Die Rote Arme hatte Berlin schon weitgehend erobert, die Kapitulation der Stadt stand bevor. In dieser aussichtslosen Lage wurden am 29. April 1945 aus dem Führerbunker zwei kleine Soldatentrupps zur Pfaueninsel in Marsch gesetzt. So sollten Botschaften Hitlers an Piloten von zwei Flugzeugen übergeben werden, um sie aus der Stadt zu schaffen. Bei den Papieren handelte es sich um das „politische Testament“ Hitlers, der einen Tag später Selbstmord beging, sowie um einen Hilferuf an Gene ral Walther Wenck, Kommandeur der 12. Armee. Dieser war aber bereits auf dem Weg nach Westen, um sich den Alliierten zu ergeben.

Die Boten aus dem Bunker erreichten zwar die Pfaueninsel; dennoch scheiterte das Unternehmen: Bei Nacht und unter russischem Beschuss musste die erste Maschine überhastet wieder starten. Die zweite kam zu spät – die Briefboten hatten die Insel schon wieder verlassen. Zurück blieben die Pfauen.