Gutshaus

Der Friesionär

Zwischen Graften, Gobelins und Gigawatt vereint Maximilian Graf v. Wedel jahrhundertalte Familientradition mit der Energiewirtschaft von morgen.

Von Henrike Freifrau v. Speßhardt

Alle, die hier oben etwas verändern wollen, kriegen sowieso erst mal Haue!“, lacht Maximilian Graf v. Wedel-Gödens. Und verändert hat er in den vergangenen Jahren in seiner Heimat nahe Wilhelmshaven viel, oft in rasanter Geschwindigkeit. Mit seiner Frau Friederike, geb. Lürßen, und zwei kleinen Töchtern bewohnt er seit 2020 das Wasserschloss Gödens in Sande, einem kleinen Ort innerhalb des niedersächsischen Landkreises Friesland. Schon im späten Mittelalter war Gödens einer der bedeutendsten ostfriesischen Häuptlingssitze, angesiedelt auf den fruchtbaren Marschböden und nur rund fünf Kilometer Luftlinie entfernt von der Nordsee. Seit 1764 ist es in Wedel’schem Besitz, erworben damals durch Einheirat in das uradelige westfälische Geschlecht derer v. Frydag, die wiederum 1574 mit der Heirat einer Erbtochter der Herrlichkeit Gödens nach Ostfriesland kamen. Der zweifl ügelig und zweigeschossig angelegte Backsteinbau gehört zu den prächtigsten Denkmälern der Gegend, äußerlich ebenso wie im Inneren. Nach einem teilweisen Brand wurde er im 17. Jahrhundert in der heutigen Form erbaut, einige Bauteile sind noch aus dem frühen 16. Jahrhundert.

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Das prächtige Renaissanceportal erdachte einst Haro Burchard v. Frydag (1640–1692), ein weit gereister und weltgewandter Vorfahr mit Kontakten zu den Höfen in Wien und Berlin, der von Leopold I. aus dem Hause Habsburg (1640–1705) nach einer Kavalierstour zu dessen Kammerherrn ernannt wurde. Haro wusste, was ganz oben gerade en vogue war, und verfügte über die entsprechenden fi nanziellen Mittel, es bei sich selbst ab 1671 umzusetzen: Ein immenses Vestibül, das die ganze Breite des Hauptfl ügels einnimmt, ein kostbar ausgestatteter, zwölf Meter hoher Festsaal, goldlederne Tapeten, brabantische Gobelins, Schaumöbel – Prachtentfaltung ging vor Komfort. „Totale Vollkatastrophe zum Wohnen mit Kindern“, nennt Maximilian v. Wedel es sehr viel profaner und zeigt doch begeistert, was das Schloss an kunsthistorischen Schätzen zu bieten hat. Ein als Original anerkanntes Frühwerk des französischen Malers Antoine Pesne (1683–1757) zum Beispiel. Das Schlüsselwerk des Rokoko entstand 1707 in Venedig und zeigt den preußischen Minister Friedrich Ernst v. Knyp hausen (1678–1732) mit Mohr und Windspiel. Angeblich begeisterte sich der preußische König Friedrich I. (1657–1713) derart für die außergewöhnliche Darstellung des unrasierten Knyphausen im Morgenrock, dass er den noch unbekannten Maler nach Berlin holte und damit dessen Karriere als berühmtesten preußischen Hofporträtisten begründete. Nach einer aufwendigen Restaurierung befindet sich das Gemälde heute im Festsaal von Schloss Gödens. Der ist selbst ein absolutes Schmuckstück. Seine Wände sind vollständig mit bemalter Leinwand bespannt und stellen Szenen aus der griechischen Mythologie dar. Deukalion, Pyrrha, Ikarus, Odysseus, Justitia – sie alle wurden von Haro v. Frydag in Auftrag gegeben, dessen gute Geisteshaltung durch die Symbolik der mythologischen Inhalte zum Ausdruck kommen sollte. Auch hier war wieder ein Berliner Hofmaler am Werke. Die zum Teil neun Meter hohen Gemälde des niederländischen Barockmalers Augustin Terwesten (1649–1711) gehören zu den wichtigsten noch erhaltenen Werken des Künstlers.

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Schicksalsfügungen

Dass sie überhaupt noch zu bewundern sind, ist einem Glücksfall der Geschichte zu verdanken. „Eines Tages stand hier ein älterer Amerikaner im Innenhof und sagte: ‚Well, I really wanted to see it from the ground‘“, erzählt Maximilian v. Wedel. „Da erfuhren wir, dass er im Zweiten Weltkrieg Fliegerpilot und Schloss Gödens Abwurfmarke für Wilhelmshaven gewesen war. 102 Luftangriffe flogen die Westalliierten von 1939 bis 1945 auf die Stadt, über dem Schloss zogen sie den Hebel für die Bomben. Zwei Drittel der Gebäude Wilhelmshavens und seiner Umgebung wurden zerstört, Schloss Gödens blieb stehen.“ Auch an anderer Stelle der Geschichte musste man schon um Stabilität bangen: Alle Gebäude innerhalb der dreifachen Graftenanlage des Schlosses stehen seit ihrer Erbauung im 17. Jahrhundert auf einem Gitterkonstrukt aus Eichenpfählen. „Wir sind hier in Klein Venedig. Alles muss permanent von Wasser umgeben sein“, erklärt Maximilian v. Wedel. Denn fällt der Wasserspiegel in den Graften, sind die Bohlen akut vom Zerfall bedroht. Also muss in heißen Sommern Wasser zugepumpt werden, notfalls mithilfe des THW. Viel Verantwortung für den jungen Schlossherren. Als sein Vater Karl-Georg Lothar Graf v. Wedel 2014 mit 58 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit verstarb, war er 26, sein jüngerer Bruder Casimir 24. Zwar hatte Maximilian v. Wedel gerade sein Londoner Studium in Informatik und Software Engineering abgeschlossen, wohl war ihm dennoch nicht bei dem Gedanken, so jung die Rolle des Schlossbesitzers und Unternehmers zu übernehmen.

„Mich hat das anfangs überfordert“, gibt er unumwunden zu, „nicht inhaltlich, aber lebenstechnisch. So stark ich mich dem Sitz verbunden fühlte, wusste ich doch, dass ich erst einmal fünf bis zehn Jahre noch mal rausmüssen würde, um eigene Ideen zu entwickeln.“ Zumal die Fußstapfen des Vaters nicht unerheblich waren: Der hatte früh erkannt, welche Chancen die Stromerzeugung durch Windkraftanlagen für Gödens haben könnte. Er gründete das Unternehmen „Friesen Elektra“, als augenzwinkernde Kampfansage an das hannoversche Großunternehmen PreussenElektra. Schon 1997 nahm die erste von später 16 Windkraftanlagen in Gödens den Betrieb auf, das angeschlossene Planungsbüro projektierte zudem an zahlreichen Standorten im In- und Ausland weitere Windparks. Daneben bestanden unter anderem eine 2000 Hektar große Landwirtschaft mit Milchvieh und 600 Hektar Forst.

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Wasserstoff aus Norddeutschland

„Mein Vater hat den Nährgrund und die Basis geschaffen. Ich wollte dem etwas Neues und Eigenes hinzufügen“, sagt Maximilian v. Wedel. Das ist ihm gelungen. Die „Energiewende made in Friesland“ schwebt dem 37-Jährigen vor, da ran hat er in den vergangenen dreieinhalb Jahren im Eiltakt gearbeitet. In US-amerikanischen und Berliner Strategieberatungen haben seine Frau Friederike und er nach dem Studium das Handwerkszeug erlernt, das es braucht, um Betriebe erfolgreich zu führen und weiterzuentwickeln. „Deutlich ausgeprägter Größenwahn gehört auch dazu“, lacht er. „Aber glücklicherweise habe ich meine Frau und genug Leute in meinem Team, die mich immer wieder erden.“ Enno Herlyn beispielsweise. Der Generalbevollmächtigte hat viel dazu beigetragen, Maximilian v. Wedel in die neue Rolle zu helfen. Heute unterstützt er diesen dabei, den Überblick über mittlerweile sechs Geschäftsbereiche und 50 Mitarbeiter zu behalten. Friesen Elektra, für das schon zwölf Mitarbeiter tätig sind, hat dabei richtig Fahrt aufgenommen. Die Struktur des Unternehmens orientiert sich bewusst an der junger Software-Start-ups: „Keine Hierarchie, ein junges Team mit klarer Vision und Kompetenz, agiles Management.“ Gemäß dem Motto: „Sparen ist nie der Weg nach vorn“ ließ Maximilian v. Wedel die vom Vater übrig gebliebenen sechs Windräder durch acht moderne ersetzen und hat einen Solarpark von über 150 Hektar auf seinen ehemals verpachteten landwirtschaftlichen Flächen errichtet. Auch das Milchvieh verschwand. „Das hat natürlich auch zu Unruhen geführt, aber ich bin mir sicher, dass die Region und damit alle am Ende davon profitieren“, sagt er selbstbewusst. „Jetzt schon versorgen wir jährlich das Äquivalent einer Stadt von 80 000 Haushalten mit erneuerbaren Energien.“ Seiner Vision vom immensen Energiepark liegt der Gedanke zugrunde, dass seine Flächen strategisch günstig in der Nähe des Energie- und Industriestandorts Wilhelmshaven und in unmittelbarer Nähe des künftigen deutschen Wasserstoff-Kernnetzes liegen. Eine Idee, die auch die milliardenschwere dänische Fondsgesellschaft Copenhagen Infrastructure Partners überzeugte, die sich hier auf die Entwicklung von grünem Wasserstoff spezialisieren möchte, der als Schlüsseltechnologie der Energiewende gilt und in wichtigen Industriezweigen wie der Stahl- und Chemieproduktion fossile Brennstoffe ersetzen kann. Ein gemeinsam mit Friesen Elektra geplanter „Wasserstoffpark Friesland“ soll 2030 auf einer rund 95 Hektar großen Fläche entlang der Autobahn A29 ans Netz gehen. Nach der geplanten Erweiterung auf eine Elektrolyseur-Kapazität von 800 Megawatt könnten so eines Tages jährlich rund 80 000 Tonnen grüner Wasserstoff produziert werden, genug, um rund acht Prozent des deutschen Gesamtbedarfs zu decken. Mit klarem Blick für das Potenzial seiner Heimat und dem Mut, neue Wege zu gehen, macht Maximilian v. Wedel Friesland zu einem Motor der Energiewende.