
Die Grafen Hahn in Mecklenburg 2.0
Mit Energie und innovativen Ideen machen Hubertus Graf Hahn v. Burgsdorff und seine Frau Verena aus der einst enteigneten Wasserburg Liepen in Mecklenburg ein Familienunternehmen auf mehreren Standbeinen.
Von Dr. Armgard von Reden
Einst gehörten die Grafen Hahn zu den größten Grundbesitzern in Mecklenburg. Erstmals urkundlich erwähnt 1230, waren sie seit 1337 in Basedow ansässig und verzweigten sich in mehrere Linien u. a. im 14. Jahrhundert in einen kurländischen Zweig. Und nach der Wende zählten die Grafen Hahn zu den Familien, die sich wieder stark in Mecklenburg engagieren. Sie verzichteten allerdings darauf, die riesige dreiflügelige Anlage des Hahn’schen Stammschlosses in Basedow zurückzuerwerben. Aber die Wasserburg und das Herrenhaus in Liepen gehören heute – ebenso wie Ländereien zwischen Liepen und Zettemin – wieder den Grafen Hahn v. Burgsdorff.
In den wirtschaftlich erfolgreichsten Zeiten gehörten den Hahns rund 99 Güter in Mecklenburg. Niemals 100? „Nein“, erklärt Verena Gräfin Hahn v. Burgsdorff. „Aus einem einfachen Grund, dem eine Legende zugrunde liegt: Ab 100 Gütern mussten für den Herzog eigene Truppen gestellt werden, und die Familie musste selbst Kriegsdienste leisten.“ Beides hielten die Hahns ganz offensichtlich für überflüssig und blieben darum stets unter der Güter-Obergrenze. Leider war dieses interessante Arrangement in späteren Kriegen nicht mehr möglich, und so fiel z. B. der einzige Hahn Sohn der Basedow’schen Linie als 20-Jähriger im Zweiten Weltkrieg in Russland. Mit dem Tod seines Vaters 1953 erlosch die Basedow’sche Linie. Andere Linien der Hahn’schen Familie überlebten zwar, flohen aber – wie Renata Gräfin Hahn v. Burgsdorff, geborene Gräfin v. Hochberg, mit ihren drei kleinen Kindern in den Westen. Ihr Mann Botho-Meinhardt war 1944 in Gefangenschaft gestorben. Getreu dem Motto der damaligen sowjetisch besetzten Zone „Junkerland in Bauernhand“ gingen dann 1945 insgesamt rund 12 000 Hahn’sche Hektar kurzfristig in Bauernhand und dann in die LPG-Planwirtschaft über. Nach der Wende erhielten die Hahns – wie politisch rechtlich entschieden – nichts davon zurück.

Und so war es – wie in vielen Fällen der sogenannten Wiedereinrichter – auch für die Grafen Hahn ein steiniger Weg zurück nach Mecklenburg. Eckhard Graf Hahn v. Burgsdorff, Sohn von Renata Hahn und eigentlicher Erbe des Gutes Demzin, war einer der Ersten, der den Neuanfang wagte – und das im wahrsten Sinne des Wortes: Denn als Bundeswehroffizier hatte der 53-Jährige keine landwirtschaftliche Ausbildung, als er in Zettemin Ersatzflächen kaufte, eine Ausbildung machte und mit der Familie nach Mecklenburg zurückzog. Demzin konnte er nicht zurückerwerben, und so war sein Anfang in einer Wohnung in seinem Elternhaus in Liepen, wo er sich dann schon 1995 ein Haus baute. Sein Bruder Clemens zog in die Uckermark und kaufte später den Wald und 2010 das Herrenhaus in Liepen zurück. Dessen Sohn Conrad erbte es und wohnt heute im Herrenhaus oder im alten Bahnhof in Basedow.
Auch der Sohn Eckhards, Hubertus Graf Hahn v. Burgsdorff, lebt heute mit seiner Frau Verena, geborene v. Wussow, und ihren vier Kindern in Mecklenburg. Aber obwohl er Agraringenieur ist und in Göttingen Landwirtschaft studiert hatte, war auch für ihn aller Anfang schwer. Zwar konnte er Flächen seines Vaters übernehmen und Land dazukaufen, aber ein Haus zu finden, erwies sich als richtiges Problem. Sie hätten gern die Wasserburg Liepen gleich zurückgekauft, aber es war einfacher, die Gemeindeverwaltung von Gielow vorerst von einem Mietvertrag zu überzeugen. Langsam wurde auch der Gemeinde klar, wie sehr sich die Hahns engagierten, was sie aufbauten, und so ergab sich vor zehn Jahren doch noch die Chance, die Wasserburg mit angrenzendem Park und Wiesen zurückzukaufen. Ihr überzeugendes Konzept für die Nutzung der Burg, der Gebäude und des Geländes brachte den Zuschlag.
Geschichte der Wasserburg Liepen
m Jahr 1337 gab Johannes III. von Werle u. a. das Dorf Sand-Liepen der Familie Hahn zum Lehen. In den folgenden Jahren erbauten diese dort die Wasserburg Liepen als Wehranlage und Wohnsitz mit Zugbrücke, Geschützturm und Wassergraben. Nach dem Dreißigjährigen Krieg verlor die Burg ihre strategische Bedeutung. Auf den mächtigen und gut erhaltenen Kellergewölben der Burg wurde nach Kriegsende, um 1700, ein klassisches, schlichtes quadratisches Fachwerkgutshaus erbaut, in dem allerdings nie die gräfliche Familie, aber ihre Verwalter lebten. So erlebte Liepen eine neue Blüte.
Auch während der DDR-Zeit diente die Wasserburg als Wohnhaus, verfiel allerdings zusehends. An eine Renovierung dachte man schon vor der Wende, denn die Wasserburg Liepen sollte 1988 zusammen mit dem Kreis Steinfurt eigentlich ein deutsch-deutsches Begegnungszentrum werden. Nach der Wende hatte sich das deutsch-deutsche Begegnungszentrum zwar erledigt, aber die Wasserburg hatte Glück und wurde von 1994 bis 1998 umfassend renoviert. Die Gemeinde Gielow machte aus ihr einen „Denkmalpflegehof“ mit verschiedenen Betreibern, die alte Baustoffe, Beschläge und Türen verkauften. Als das Konzept unwirtschaftlich wurde, ergab sich für die Hahns die Chance zum Kauf – ihr damals erarbeitetes Konzept trägt bis heute.

Die Alte Pomeranze
In den Kellergewölben ist die Manufaktur und der Verkostungsbereich des Likörs „Alte Pomeranze“ eingezogen. Die Hahns konnten ein altes Familienrezept übernehmen und begannen mit der Produktion und dem Verkauf des Bitterlikörs in der Burg. Einst waren die kleinen bittersüßen Früchte, der „goldene Apfel“, eine Spezialität europäischer Fürstenhäuser, weil die Pomeranze nur in Orangerien überwintern konnte. Sie geriet zunehmend in Vergessenheit und überlebte nur im Begriff „Landpomeranze“. Verena Hahn hat sie aus dem Dornröschenschlaf geweckt und vertreibt den Likör jetzt erfolgreich auch in Geschäften und in ihrem Onlineshop. „Wir haben ein Jahr getüftelt, bis das Design sowie Marketing- und Vertriebskonzept standen.“ Es hat sich gelohnt. Die Produktion war von Anfang an profitabel, obwohl der gesamte Produktionsprozess von Hand gemacht werden muss. Neben der Produktion und der Vermarktung der „Alten Pomeranze“ arbeitet Verena Hahn, studierte Betriebswirtin, auch als Fundraiserin für das Christliche Soziale Jugenddorfwerk e.V. (CJD) in Mecklenburg.

Ferien und Feiern in Liepen
In den neben dem Gutshaus liegenden Landarbeiterhäusern sind nach und nach drei liebevoll eingerichtete größere Ferienwohnung entstanden. Jetzt kam noch ein kleines Häuschen für zwei Personen hinzu, die ehemalige Schmiede. Und weil die Wasserburg eine Außenstelle des Standesamts ist, kann man in Liepen auch heiraten und in den alten Gewölben Feste feiern.
Neue Wege in der Landwirtschaft
Das Konzept für die Bewirtschaftung der Wasserburg Liepen ging auf, aber wie sieht das landwirtschaftliche Konzept der Hahns aus?Angefangen hatte Hubertus Hahn 2007 in der Hahnenhof GbR vor allem mit Pflanzen für die Biogasproduktion. „Aber nach dem extrem trockenen Sommer von 2018 war uns klar, dass wir ein neues Konzept brauchten.“ Er suchte und fand – zusätzlich zum Anbau von Raps und Winterweizen – zwei neue landwirtschaftliche Nischen, die er heute erfolgreich nutzt: Heil- und Wildkräuter sowie die Saatgutproduktion von regiozertifizierten Wildkräutern und -gräsern. 27 verschiedene Sorten werden auf seinen Feldern angebaut, deren Saatgut dann gemischt für die naturnahe Begrünung von Rekultivierungsflächen genutzt wird. Ein Hauptbestandteil der Heilkräuter ist Fenchel, genauer gesagt der zweijährigen Körnerfenchel, der bis zu 2,5 Meter hoch wird und mit dem Mähdrescher geerntet werden muss. Der größte Teil des Fenchels wird als Tee an die Pharmaindustrie verkauft. Ein kleinerer Teil wird in ihrer 2009 gegründeten Manufaktur zu Tee, Seife und Salz verarbeitet, die man, ebenso wie die Marmeladen, in Liepen im Hofladen, oder auch über den Onlineshop erwerben kann.
Aber das Konzept umfasst neben der eigenen Landwirtschaft noch ein weiteres Standbein: Graf Hahn bietet sozusagen einen landwirtschaftlichen Rundumservice an: von einzelnen ackerbaulichen Dienstleistungen wie Aussaat, Düngung und Pflanzenschutz oder dem Anbau und der Lagerung bestimmter Pflanzen bis zur Komplettbewirtschaftung. Dafür haben die Hahns die SchlagKraft GmbH & Co. KG gegründet.
Auf die Frage nach möglichen Problemen nennt Graf Hahn als Erstes die hohen Bodenpreise für landwirtschaftliche Flächen. „Die großen Unternehmen kaufen Flächen zu Preisen, die wir als Landwirte nicht leisten können“, und natürlich verbringe er viel zu viel Zeit am Schreibtisch. So sei es z. B. aufgrund der bürokratischen Hürden sehr schwer, ein Produkt wie Fenchel als Arzneiprodukt zu zertifizieren. Aber trotz aller Schwierigkeiten merkt man der 30. Generation der Hahns an, mit welcher Leidenschaft und Energie sie nach Mecklenburg zurückgekehrt sind – als Landwirte und als Unternehmer.