Schloss nachrodt

Ein maßgeschneidertes Erbe

Christian v. Löbbecke-v. Campe und seine Frau Charlotte bringen seit gut vier Jahren neues Leben in Haus Nachrodt im Sauerland. Es ist die Kür einer Familie – für die nächste Generation.

Von Stefanie v. Wietersheim

Wenn man Christian v. Löbbecke-v. Campe und seiner Frau Charlotte beim Erzählen ihrer gemeinsamen Familiensaga zuhört, kann einem ganz schwindelig werden. Wenn zwei Menschen zusammenkommen, heiraten auch zwei Namen, zwei Familien. So weit, so normal. Doch bei manchen Paaren entwickelt sich daraus ein spannender Fortsetzungsroman. Und man staunt, wie ein Working Couple funktionieren kann, durch dick und dünn. Was alles in ein Leben passen und gut zusammenpassen kann: Ausbildungen in Finanzen und kreativem Beruf. Idealismus und Anpacken. Wagemut und Durchhalten. Firmengründung im Textilbusiness und die Übernahme eines historischen Hauses. Dazu drei lebhafte Jungs. Und das alles in Zeiten von Digitalisierung, Corona und Klimawandel.

Aber am besten alles von Anfang an erzählt: Christian v. Löbbecke v. Campe, Jahrgang 1969, wurde in Kiel geboren, wuchs auf in Lütjenburg in Holstein als jüngster Sohn seiner Eltern Gord v. Campe und Veronika v. Campe geb. v. Arenstorff aus Oyle bei Nienburg.

Er machte nach dem Abitur eine Reserveoffizierslaufbahn in Eutin und lernte 1989 seine spätere Frau Charlotte bei einem Fest in Kiel kennen. Nach einer Banklehre in Hamburg, dem BWL-Studium in Bamberg, Paris, Oxford und Berlin gründete er mit Freunden 1996 die Firma Campe & Ohff Maßhemden mit Sitz in Hamburg. Nachdem er zuerst einen Job in einer Beratung angenommen hatte, „denn einer musste Geld verdienen“, heiratete er 1998 die gleichaltrige Charlotte geb. Freiin v. Gillhaussen- v. Strenge – „sie kennt sich aus mit Doppelnamen!“ –, Tochter von Bernhard und Friederike Freiherr und Freifrau v. Gillhaussen-v. Strenge geb. Riedesel Freiin zu Eisenbach. Nach dem Abitur besuchte Charlotte eine Hauswirtschaftsschule, machte dann eine Schneiderlehre, verbrachte Gesellenjahre in Hamburg und Zürich. Schließlich absolvierte sie die Meisterschule für Mode in München und legte dort ihre Meisterprüfung ab. Gemeinsam mit Hans-Henrik Ohff führte sie zunächst die Geschäfte von Campe & Ohff in Hamburg, 1998 übernahm sie mit ihrem Mann die Lauterbacher Hemdmanufaktur in Hessen. Das Paar zog von Hamburg ins Riedeselland um, im Jahr 2001 für 16 Jahre auf das großelterliche Hofgut Sassen. Aus den beiden wurde nun ein Working Couple: Der Ehemann übernahm die kaufmännische Geschäftsführung, sie die technische und kreative. Von zwölf Mitarbeitern in den beiden Firmen, Produktion mit Werksverkauf und Vertrieb mit Geschäften in Hamburg und Berlin, stieg die Zahl im Laufe der Jahre auf 30 an.

2004 wurde Sohn Friedrich, 2006 Georg und 2007 Johann geboren. Christian wurde Johanniter, Charlotte engagierte sich bei den Soroptimistinnen. 2013 entwarf sie mit ihren Lehrlingen die erste kleine Kollektion unter dem Label „Edle von Zwirn“, außerdem fertigt sie nach Maß Kleidung vom Rock bis zum Brautkleid an – neben der Organisation der Hemdenfertigung. Bis heute geht jeder Hemden- und Blusenauftrag über ihren Schreibtisch, jeder Schnitt für jeden einzelnen Kunden wird persönlich am CAD-PC von ihr erstellt. „25 Jahre – das sind rund 250 000 Hemden und Blusen!“, sagt sie.

Hofgarten

Haus Nachrodt – Familiensitz und Aufgabe

Und mitten in dieses mehr als volle Leben kam plötzlich ein Haus: Haus Nachrodt, ein denkmalgeschütztes Ensemble mit Hof, Gärtnerhaus, Park und Allee, an der Bundesstraße von Iserlohn nach Altena gelegen. Nachrodt mit den zugehörigen Erbbaugrundstücken und Mietshäusern sowie Wald, Feld und den Höfen Dümpel, dazu die beiden Erbbegräbnisse der Familien Schmidt/v. Löbbecke und v. Holtzbrinck/v. Carlowitz wurden eine neue Aufgabe – und neuer Familiensitz. Denn im Jahr 2012 übernahm Christian von seinem verstorbenen Adoptiv-Vater Heinz-Guido v. Löbbecke die Verwaltung des Hauses mit allem, was rundum dazugehört. Auch die Betreuung der Tante, der testamentarisch „Wohnrecht unter Ausschluss des Eigentümers“ eingeräumt war.

Christian v. Löbbecke-v. Campe begann zunächst mit der Renovierung eines kleinen Fachwerkhauses auf den dazugehörigen Höfen, der vernachlässigten Pflege des Waldes und dringenden Reparaturen. Nach dem Tod der Tante wurde im Haus renoviert, während Charlotte schon die Einrichtung plante. Es galt, den gesamten Hausstand eines 250-Quadratmeter-Hauses in ein voll möbliertes, größeres Haus zu integrieren. Im Sommer 2017 dann, einen Tag nachdem eine Gruppe der Radtour des NRW-Adelsverbandes im frisch renovierten Haus Station machte (während Christian in Sassen die Beladung der Umzugswagen beaufsichtigte), zog die Familie ein. Ins Haus, den Ort Nachrodt, den märkischen Kreis im südwestfälischen Sauerland in der Nähe von Iserlohn und Hagen. Bis zum 50. Geburtstag des Hausherrn im März 2019 war es geschafft.

Seit bald vier Jahren lebt die Familie nun dieses Doppelkonstrukt: In Lauterbach sind sie die „von Campes“, in Nachrodt die „von Löbbeckes“, auch wenn das Umdenken in die jeweiligen Aufgabenbereiche manchmal schwerfällt. Ein kinderfreier Abend zum Treffen von Freunden in Lauterbach – Jagd, Sport, Kultur, Rotary/Inner Wheel und Gartenfreuden mit Grillen en famille in Nachrodt. Eine textile Fertigung mit Vertrieb in Hessen auf der einen Seite – eine Denkmal- und Immobilienverwaltung mit allen bürokratischen Hürden in Nordrhein-Westfalen auf der anderen.

Anlage

Die siebte Generation

Haus und Gutshof Nachrodt sind kulturhistorisch besonders interessant, weil sie Zeugnis des gesellschaftlichen Aufstiegs einer Familie aus der bürgerlichen Oberschicht in den Adelsstand geben, von der klassizistischen Industriellenvilla des Biedermeier bis zum adligen Herrensitz mit Gäste-, Verwalter- und Gärtnerhaus der Jahrhundertwende. „Sechs Generationen haben Spuren der jeweiligen Zeit im Haus, auf dem Hof und im Ortsbild hinterlassen, die von vergangenen Lebensweisen zeugen“, erklärt die Hausherrin. Der denkmalgeschützte Hof gehörte ursprünglich zu den 37 Gütern des sogenannten „Kelleramtes“, die für die Versorgung der Burg Altena zu sorgen hatten. 1748 erfolgte die erste urkundliche Erwähnung. Im Jahre 1800 gab es im Lennetal im heutigen Ortsgebiet Nachrodt lediglich diesen Gutshof und verstreut liegende kleine Fachwerkkotten sowie einen Eisenhammer an der Lenne. Der Erwerb dieses Wasserkraft nutzenden Hammers und einer 1809 errichteten Nadelscheuermühle durch den Iserlohner Kaufmann Johann Heinrich Schmidt waren die Anfänge der Entwicklung zu einem der innovativsten und größten Industriewerke dieser Zeit im Altkreis Altena. Entscheidend wurde dann dessen Sohn Eduard Schmidt, der die Firma übernahm, 1818 das angrenzende Hofgut Nachrodt kaufte und ein klassizistisches Herrenhaus aus Bruchstein mit schieferbedecktem Krüppelwalmdach erbaute, das heutige Haus Nachrodt. Spuren hat auch Emma Schmidt geb. Löbbecke, seine spätere Witwe, hinterlassen. Die resolute und gebildete Fabrikinhaberin, die großen Sozialsinn hatte und auf die der Haus Nachrodt umgebende Landschaftspark entlang der Lenne zurückzuführen ist, verkaufte die Fabrik 1872. Sie war befreundet mit dem Volksliedsammler, Schriftsteller und Forscher in Volk und Natur, Anton Wilhelm v. Zuccalmaglio, dem das Lied „Kein schöner Land in dieser Zeit“ zugeschrieben wird. Dieser war Hauslehrer der vier Enkelkin der Löbbecke und starb 1869 bei einem Besuch im Haus Nachrodt.

„Nun gilt es, unser Haus und unsere Hemdenfirma parallel in die Zukunft zu führen“, sagt Christian v. Löbbecke. Neben dem Renovierungsstau von Haus Nachrodt stehen auch Sanierung und Neunutzung mehrerer leer stehender Häuser auf zugehörigen Höfen an. Charlotte sammelt Ideen, entwickelt Visionen für die Nutzung von Haus und Hof, erforscht Familienunterlagen und Archive, knüpft Kontakte, während Christian Anträge stellt, Förderungen und Handwerker sucht und betreut, sich mit Ämtern und Denkmalbehörden herumschlägt. Aktuell wird eine neue Heizungsanlage gebaut, werden Erbbaugrundstücke erschlossen und Konzepte für die Zukunft des durch Trockenheit und Borkenkäfer geschädigten, abgeholzten Waldes erstellt. Auch die Parkanlage mit der Lindenallee bis zum Erbbegräbnis braucht in naher Zukunft verstärkte Aufmerksamkeit im Kampf gegen Verluste durch die Trockenheit und die offizielle NRW-Planung einer neuen Brücke über die Lenne. Zur Erforschung des Parks hat Charlotte die Universität Hannover angesprochen, die aktuell dazu Studierende für eine Semester- oder Masterarbeit sucht. Teile des Hauses und Hofes sind bereits von Studentinnen der Universität Siegen unter Prof. Dr. Eva von Engelberg erforscht worden.

Gemäldegalerie

Aktivitäten in Haus und Hof

Eine positive Entwicklung ist die erfolgte Restaurierung des Blüthner-Flügels, der seit 1863 an Ort und Stelle steht und im September mit einem Benefizkonzert eingeweiht wurde. Unter dem Namen „Klaras Häuschen“ ist ein Fachwerkhaus im Ort mit zwei zusammenlegbaren Wohneinheiten zum Ferienhaus eingerichtet worden. Außerdem wird es auf dem Hof demnächst eine sogenannte „Marktschwärmerei“-Verkaufsstelle geben. „Im benachbarten, ehemaligen Gästehaus wird unter Federführung eines in Gründung befindlichen Fördervereines eine Begegnungsstätte für Kultur und Bildung entstehen“, erzählt Charlotte v. Löbbecke begeistert. Tagsüber Volkshochschulkurse und Kulturvermittlung an Kinder und Jugendliche mit „denkMalAktiv“ und „Kulturerben e. V.“, abends und an den Wochenenden Kulturprogramm und kleine Feiern. Der prunkvolle Saal im Haus Nachrodt soll für Konzerte, Lesungen und Standesamt, der Park für Schüler-Forschungsprojekte zum Klimawandel und als Ausstellungsort in das Gesamtkonzept einbezogen werden.

Während der älteste Sohn Fritz sich nach Tanzkurs in Düsseldorf, Jagdscheinprüfung und Treckerführerschein in der vorletzten Klasse im Abitur im Internat Rossleben in Thüringen befindet, bereitet sich Georg nach seiner bestandenen Orgelprüfung auf ein Auslandsjahr in Schottland vor. Das Nesthäkchen Johann freut sich über seinen Obststand an der Bundesstraße, mit dem er sein Taschengeld aufbessert, und auf die Zeit allein mit den Eltern. Christian sagt: „Nachrodt ist kein Besitz, auf dem und mit dem einer von uns aufgewachsen ist, wir sind beide Quereinsteiger. Mein Patenonkel hat mir das Erbe zum Fortführen anvertraut, und ich habe keine Sekunde gezögert, es anzunehmen, da es der Ausdruck größten Vertrauens war. Wir fühlen uns hier wirklich zu Hause, es ist das erste eigene Haus, das wir bewohnen, und allein das ist für uns schon etwas Besonderes.“ Charlotte ergänzt: „Wir sehen es als unsere Aufgabe, dem Besitz das nötige Rüstzeug zu geben für künftige Generationen. Das treibt uns an, Haus Nachrodt aus dem Dornröschenschlaf zu holen."