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Anna Amalia hätte es gefallen!

Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar ist ein lebendiger Ort des Wissens und der Kommunikation.

Von Constantin und Ulrike Graf und Gräfin v. u. zu Hoensbroech

Die Konstruktion aus Kiefernholz erstreckt sich über zwei Galerien. Sie ist mit goldfarbenen Kapitellen und Verzierungen ausgestaltet. Nicht nur die Decke zieren die im 18. Jahrhundert so beliebten Rocaillen – Stuckaturen muschelartiger Ornamente. Berühmte Gemälde hängen an den Wänden, die Büsten von bedeutenden Gelehrten stehen sich gegenüber und scheinen ein geisteswissenschaftliches Kolloquium zu führen. Rund 40 000 Bücher aus mehreren Jahrhunderten, unter ihnen auch eine aus dem Jahr 1529 stammende Ausgabe der „Rhetorik“ des Aristoteles, befinden sich im Rokokosaal. Er ist das repräsentative Herzstück der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar. Am 24. Oktober 2007 wurde der dreigeschossige Saal der Bibliothek, die den wichtigsten Bestand zur deutschen Klassik (1750–1850) beherbergt, durch den damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler wieder eröffnet.

Die Bibliothek brennt

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Rückblende: Donnerstag, 2. September 2004. Es ist kurz vor 20.30 Uhr. In den Redaktionsräumen von „Thüringer Allgemeine/Thüringische Landeszeitung“ am Goetheplatz werden die Regionalausgaben Weimar zur Druckfreigabe vorbereitet, als das Telefon klingelt. Michael Baar nimmt den Hörer ab. „Michael, hast du was mitbekommen, brennt die Anna Amalia?“, meldet sich ein aufgeregter Anrufer. Noch während der Redaktionsleiter die Frage verneint, donnert ein mehrere Fahrzeuge umfassender Löschzug der Feuerwehr mit Blaulicht und Martinshorn am Medienhaus vorbei. Unverzüglich schickt Baar einen Mitarbeiter zur Bibliothek, der sich kurz darauf zurückmeldet: „Die Bibliothek brennt!“ In den kommenden Stunden nehmen die Fotografen der Redaktion aus vier verschiedenen Positionen das Brand- und Löschgeschehen auf. Ihre Fotos gehen um die Welt. Später wurde das Bildmaterial für die Aufarbeitung der Katastrophe ebenso verwendet wie als Schulungsmaterial für die Feuerwehr. „Der Brand ist für die Stadt und ihre Geschichte eine Zäsur“, unterstreicht Michael Baar im Gespräch mit dem „Deutschen Adelsblatt“ und ergänzt: „Diese Nacht und die folgenden Tage werde ich nie vergessen.“

Wie wohl alle, die damals in Weimar waren. Bereits kurz nach Beginn des Brandes beteiligten sich zahlreiche Menschen aus der gesamten Stadt an den Hilfsmaßnahmen, bildeten lange Ketten, um die Einsatzkräfte zu versorgen oder zur Sicherung der teilweise weit verstreuten Überbleibsel von Büchern beizutragen. Rund 50 000 Bücher fielen der Brandkatastrophe zum Opfer; etwa 118 000 wurden, teils schwer beschädigt durch Feuer oder Löschwasser, geborgen. Ursache für das verheerende Feuer war ein Schwelbrand an einer Kabelleitung hinter der Wandverkleidung.

Schwer geschädigte „Aschebücher“

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Es mutet wie ein Wunder an, dass sich der Rokokosaal nur drei Jahre nach dem Brand wieder so präsentiert wie er Mitte des 19. Jahrhundert ausgesehen hat. Fast jedes Teil musste in mühevoller Kleinarbeit auseinandergenommen, wieder zusammengesetzt und mit neuem Farbanstrich versehen werden. Noch sind nicht alle Folgen des Brandes beseitigt. „Bis 2028 wird es dauern, die 25 000 schwer geschädigten sogenannten Aschebücher zu bearbeiten“, berichtet Dr. Reinhard Laube, der Direktor der Bibliothek. Bislang seien rund eine Million Blatt restauriert worden, weitere 500 000 sollen folgen. Aber: „Zur Geschichte der Brandverluste gehört auch die Geschichte eines gelungenen Wiederaufbaus von Gebäude und Sammlungen mit großartigem zivilgesellschaftlichem Engagement“, betont er. Dazu gehört auch die Wiedergewinnung sanierter Räume im Historischen Gebäude der Bibliothek.

Ab Juni sollen Führungen entlang der alten Wegführung („Herzogsteg“), wie sie Johann Wolfgang von Goethe und Herzog Carl August erdacht hatten, in das Besuchsprogramm der Bibliothek integriert werden. Nur wenige Monate nach dem verheerenden Brand wurde planmäßig das neue Studienzentrum auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes eröffnet. Es ist unterirdisch mit dem Stammgebäude verbunden und ermöglicht den modernen Bibliotheksbetrieb: frei zugängliche Bände, Leseplätze, Lesesaal, Gruppenarbeitsraum, Veranstaltungsbereich, Hörsaal, Mediathek. Laube hebt hervor: „Wir sind kein musealer Betrieb, sondern ein lebendiger Ort des Wissens und der Kommunikation.“

Mit der Zugänglichkeit von Flächen und Sammlungsräumen führt die Bibliothek mit über einer Million „Einheiten“ ihre Besucher und Nutzer durch die Jahrhunderte bis in die Gegenwart – ausgehend vom 16. Jahrhundert über den Rokokosaal sowie den Bibliotheksturm bis in das Studienzentrum. Das würde Anna Amalia sicher gefallen! Es ist eine Ironie des Schicksals, dass unter den unwiederbringlich zerstörten Objekten ausgerechnet vieles aus dem Bestand an Autografen der Namenspatronin selbst ist. „Vom Brand betroffen war ihre Musikaliensammlung, darunter auch ihre Handschriften“, so Reinhard Laube. Zum Glück wurden sie schon vor dem Brand durch Mikrofilme gesichert.

Mäzenin der Künste

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1991 wurde die ursprüngliche Fürstenbibliothek, später dann Thüringische Landesbibliothek Weimar sowie zuletzt Zentralbibliothek der deutschen Klassik in „Herzogin Anna Amalia Bibliothek umbenannt und bis heute als eine Forschungsbibliothek für Literatur- und Kunstgeschichte etabliert. „Die verwitwete Herzoginn ist eine Dame von Sinn und Geist, in deren Gesellschaft man nicht gedrückt ist.“ So beschrieb Friedrich von Schiller (1759–1805) in einem Brief von 1788 die einstige Regentin von Sachsen-Weimar und Eisenach. Sie stellte der 1691 gegründeten Bibliothek das Gebäude mit dem Rokokosaal zur Verfügung und vermachte ihr später ihren umfangreichen Büchernachlass.

Anna Amalia wurde am 24. Oktober 1739 als fünftes von 13 Kindern des Herzogs Karl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel (1713–1780) und dessen Frau Philippine Charlotte Prinzessin von Preußen (1716–1801) in Wolfenbüttel geboren. Sie erhielt eine umfassende standesgemäße Bildung. Bereits mit 16 Jahren wurde sie mit Herzog Ernst August II. Constantin von Sachsen-Weimar und Eisenach (1737–1758) verheiratet. Die Zeit drängte den jungen gesundheitlich angeschlagenen Fürsten. Im Falle seines Todes ohne Erben wäre das Weimarer Herrscherhaus ausgestorben. Doch dann ging alles sehr schnell: 1756 Heirat, 1757 Geburt von Erbprinz Carl August, 1758 Tod von Ernst August II. Constantin. Nur wenige Monate später dann die Geburt des zweiten Sohnes Friedrich Ferdinand Constantin. 1759 übernahm die verwitwete Herzogin gemäß dem Testament ihres Mannes die obervormundschaftliche Landesadministration (Regentschaft) für die unmündigen Söhne. „In meinem 18. Jahre fing die größte Epoche meines Lebens an: Ich wurde zum zweiten Mal Mutter, wurde Witwe, Obervormünderin und Regentin“, schrieb sie rückblickend.

In ihrer Regierungszeit gelang es Herzogin Anna Amalia das wirtschaftlich angeschlagene Herzogtum zu stabilisieren. Außerdem legte sie die Grundlagen für die Entwicklung Weimars von einer eher unbedeutenden Residenzstadt hin zu einem führenden geistigen und kulturellen Zentrum. Als sie im Jahr 1775 im Alter von 36 Jahren die Regierungsgeschäfte für das nun weitestgehend schuldenfreie Herzogtum an Carl August abgab, schlug sie ein neues Lebenskapitel auf. Bis zu ihrem Tod 1807 förderte Herzogin Anna Amalia intensiv das geisteswissenschaftliche Leben.

Von ihrem Witwensitz aus, dem Wittumspalais, das heute wie auch die Bibliothek zur Klassik Stiftung Weimar gehört, organisierte die Herzogin das kulturelle Leben. Konzerte, Theater, Autorenlesungen, gesellige Zusammentreffen von Künstlern und Gelehrten und vieles mehr wurden hier und im wenige Kilometer entfernten malerisch gelegenen Landschloss Tiefurt veranstaltet. Geistesgrößen der deutschen Klassik wie Herder, Schiller, Goethe, Wieland gingen ein und aus. Beim Blick in das sogenannte Tafelrundenzimmer im Wittumspalais können sich Besucher vor ihrem geistigen Auge ausmalen, wie es gewesen sein muss, als Goethe im kleinen Kreise die ersten Verse aus dem „Urfaust“ vortrug. Die Mal-, Schreib- und Musikzimmer geben Einblick in Interessen, Kunstsinn und Kreativität der Hausherrin. Sie war als Malerin, Zeichnerin sowie Schriftstellerin tätig, vor allem aber eine beachtlich dilettierende Komponistin. Als die Fürstin und mehrsprachige Mäzenin am 10. April 1807 in Weimar starb wurde sie in der Stadtkirche St. Peter und Paul („Herderkirche“) beigesetzt.