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Versöhnung schafft Zukunft

Ein Gespräch mit Dr. Thilo v. Trotha über die Versöhnung seiner Familie mit den Nachfahren von Samuel Maharero, dem Anführer der Herero bei der vernichtenden Schlacht am Waterberg (heutiges Namibia) 1904

Wir haben im vorigen Jahr erlebt, dass die angestrebte Aussöhnung zwischen Deutschland und Namibia auf Hindernisse gestoßen ist. Was ist passiert?

Es gab Empörung auf der einen Seite und Enttäuschung auf der anderen, als im Mai 2021 in Windhoek das über Jahre ausgehandelte Aussöhnungsabkommen zwischen Deutschland und Namibia scheiterte. Darin wollte sich die Bundesregierung offiziell für den Völkermord an rund 100 000 Herero und Nama entschuldigen und stellte rund 1,1 Milliarden Euro für Wiederaufbauhilfe in Aussicht. Geplant war nach der Unterschrift eine Reise von Bundespräsident Steinmeier, um vor dem Parlament in Windhoek diese Entschuldigung und die Anerkennung der Ereignisse des Jahres 1904 als Völkermord offiziell auszusprechen.

Man liest viel über den Aufstand der Herero von 1904. Was hat Ihre Familie damit zu tun?

Lothar v. Trotha (1848–1920) war als Generalleutnant auf besonderen Befehl Kaiser Wilhelms II. Kommandeur der kaiserlichen Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika. Seine schon von den Zeitgenossen als brutal empfundene Kriegsführung gegen die Herero und Nama im heutigen Namibia ist immer wieder Gegenstand der aktuellen Politik.

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Neigen die Trothas zur Brutalität?

Nein. Wie fast alle alten Familien haben auch wir eine Reihe Soldaten, Generale und Admirale in der Ahnenreihe. Nicht alle Familien finden einen Bischof im Tableau der Vorfahren (Thilo, 1443–1514, Bischof von Merseburg) oder einen lebenden Minister (Klaus, Jahrgang 1938, Minister in Baden-Württemberg von 1991–2001). Die Trothas sind stolz auf einen Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime (Carl-Dietrich, 1907–1952, Mitglied des Kreisauer Kreises). Wir blicken zurück auf Schriftsteller und Diplomaten, auch an Raubrittern fehlte es nicht. Eine ganz normale Familie. Normal ist auch: In einer jahrhundertealten Familie gibt es nicht nur die Guten. Auch die anderen gehören dazu. Auch für sie übernehmen wir Verantwortung, ohne sie deswegen gut zu finden.

Die Versöhnung zwischen den Familien der Kommandanten, die damals den Krieg auf ihrer Seite anführten, fand in zwei Etappen statt?

Vor einigen Jahren gab es eine Aussöhnung zwischen der Familie v. Trotha und der Familie Samuel Maharero, dem Anführer des Aufstandes der Herero. Im Jahr 2004, 100 Jahre nach den furchtbaren Ereignissen am Waterberg und in der Omaheke-Wüste, und im Jahr 2007 trafen sich die Trothas und der Enkel des Herero-Führers, Alfons Maharero, zuerst auf Trotha-Terrain auf der Rheininsel Nonnenau in Ginsheim und dann, auf Einladung der Herero, in Namibia. Die Gespräche wurden vermittelt vom Bischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia, Reinhard Keding, und dem deutschen Botschafter dort, Arne Freiherr von Kittlitz.

Charlottenhof

Was passierte genau?

Die Aussöhnung selbst geschah am 15. November 2004 auf der Rheininsel. Dort trafen sich Trothas unter der Führung es Vorsitzenden des Familienverbandes Wolf-Thilo und Ombara Alfons Maharero mit seiner Delegation, Berater und Übersetzer Gustav Mapurua und der Journalistin aus Windhoek Erika von Wietersheim. Wolf-Thilo drückte die „Beschämung der Familie über die schrecklichen Ereignisse vor 100 Jahren“ aus. Maharero sprach von der Hoffnung, „die Wunden der Vergangenheit mögen heilen“, und unterstrich, nicht als Gesandter der namibischen Regierung gekommen zu sein, sondern in familiärer Mission. Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und andere Blätter berichteten und lobten das Treffen.

Und der zweite Schritt?

Ihre Bestätigung fand die Aussöhnung bei einer Reise einer Delegation der Trotha-Familie nach Namibia auf dem White Flag Day der Herero am 7. Oktober 2007 in Omaruru. Presse und Fernsehen waren dabei, als 20 Repräsentanten der Herero und ihrer Frauen in farbiger Nationaltracht die Trothas feierlich am Flughafen Windhoek empfingen. Der entscheidende Satz fiel auf diesem traditionellen Treffen der Herero und wurde vom stellvertretenden Minister für Haus- und Landwirtschaft, dem Herero Kazenambo gesagt: „The von Trotha delegation clears their name of their family with this visit in Namibia.“ Seine Weihen, seine nach dortiger Tradition endgültige Bindungskraft erhielt dieser Politiker-Satz fünf Tage später in Okahandja bei einer Zeremonie, die auf dem Passepartout mitteleuropäischer Nüchternheit tief zu Herzen ging. Die Chiefs der Herero an der Spitze einer großen Menschenmenge und die Trothas versammelten sich am Grab Samuel Mahareros. Alle knieten nieder, viele weit weg vom Grab, so groß war die Menge. Alfons Maharero eröffnete ein Zwiegespräch mit den für die Herero hochgewichtigen Ahnen: „Wir bringen die Fremden, die Versöhnung suchen. Sie kommen in Frieden. Gebt ihnen euren Segen. Lasst sie gegen keinen Stein stoßen.“ Der Dialog dauerte lange. Am Ende: „Dann komm, komm, komm. Bring die Leute. Wir haben von der Versöhnung gehört.“ Darauf erhoben sich Wolf-Thilo v. Trotha, der Leiter der Delegation und Vorsitzender der Trotha-Familie, und Alfons Maharero und gaben sich über dem Grab Samuel Mahareros die Hand.

Situationsplan

Ist die Aussöhnung zwischen den beiden Ländern jetzt vorangekommen?

Diese Geste kann die anstehende Aussöhnung zwischen Deutschland und Namibia nicht ersetzen. Sie kann aber ein Beispiel geben. Wir leugnen nicht, was damals ein Mitglied unserer Familie verursacht hat. Sondern wir bedauern zutiefst, was damals im Kampf gegen die Nama und Herero geschehen ist. Und doch: Die Versöhnung der beiden Familien ist in der Gegenwart ein Licht im Dunkel von Gewalt und Verbrechen der Vergangenheit. Helmut Schmidt sagte 1978 in der ersten Rede, die ein deutscher Bundeskanzler in einer Synagoge hielt: „Diejenigen, die sich versöhnen wollen, müssen den Kopf heben und sich anblicken.“ Die Familien v. Trotha und Maharero können sich wieder in die Augen schauen.

Dr. Thilo v. Trotha, geb. 1940 , war von 1974 bis 1980 Redenschreiber von Bundeskanzler Helmut Schmidt. Nach seiner Zeit im Kanzleramt gründete er die Akademie für Redenschreiben und den Verband der Redenschreiber deutscher Sprache, dessen Ehrenpräsident er jetzt ist. Für sein Wirken auf dem Gebiet der Rhetorik in Deutschland erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Er ist verheiratet mit Sophie, geb. Freiin Spies von Büllesheim, mit der er 4 Kinder hat und in Berlin wohnt.