Gut Drült

Nachhaltigkeit verpflichtet

Transparent zu produzieren und damit Nähe zum Konsumenten herzustellen, so lautet das Erfolgsrezept von Frederik v. Rumohr. Auf Gut Drült im schleswig-holsteinischen Angeln zeigen er und seine Familie, wie das gehen kann.

Von Henrike Frfr. v. Speßhardt

Die Anfahrt gestaltet sich holprig. Und bin ich hier überhaupt noch richtig? Auf und ab geht es über enge Straßen durch die eiszeitlich geprägte Hügellandschaft im östlichen Schleswig-Holstein, nahe der Flensburger Förde. Es hat geschneit. Hinter jeder Kurve neue gefällige Blicke auf weiß gezuckerte Natur. Die berühmten Knicks, bereits vor 200 Jahren zur Abgrenzung der landwirtschaftlichen Flurstücke angelegte Wallhecken, beherrschen die Gegend und unterteilen sie in immer neue charmante Landschaftsporträts.

Fast könnte man sich im Süden Englands wähnen, wären da nicht die für die Region am Ostsee-Meeresarm Schlei so typischen Backsteinkaten, oft mit Reet gedeckt, die sich überall in die Natur ducken. Am Ende der Allee ist schon wieder ein halb verstecktes Gebäude zu erahnen. Aber warum laufen rechts und links des Weges bunte Hühner im Schnee einen Wettlauf mit dem Auto? Und ist die prächtige Allee nicht etwas zu groß geraten für das eher rustikale, wenn auch dreiflügelige Haus an ihrem Ende? Des Rätsels Lösung verbirgt sich hinter dem Gebäude. Ich bin auf Gut Drült angekommen! Hat man das Verwalterhaus erst einmal links oder rechts umfahren, prangt das Gutshaus plötzlich vollkommen unerwartet vor dem Besucher. Genau diesen Effekt hatte sich dessen dänischer Architekt und Baumeister Axel Bundsen (1768–1832) vorgestellt, als Louise Marianne v. Rumohr geb. Baronesse v. Dehn (1761–1846) zu Anfang des 19. Jahrhunderts mit dem Wunsch auf ihn zukam, er möge ihr doch ein neues Herrenhaus mit Gutsanlage entwerfen. Nach einem Blitzeinschlag war der 1397 erstmals urkundlich erwähnte Besitz im Jahr 1800 nämlich vollständig abgebrannt. Der über Jahrhunderte als Witwensitz des nahe gelegenen Hauptsitzes Rundhof verwendete Drülter Hof sollte als selbstständiges Gut aufgewertet und Sitz der neuen Linie Rumohr-Drült werden, das Louise Marianne für ihren Lieblingssohn Friedrich Henning Adolf vorgesehen hatte. Bundsens Idee war so einfach wie genial: Verstecken sollte sich das Gut zunächst in der Landschaft, erst hinter der letzten Kurve des Weges überhaupt auffindbar sein – um dann umso gewaltiger auf den Gast zu wirken. Aber auch dann erst einen Blick später: Höchst ungewöhnlicherweise für die Gegend besteht die Fassade des Herrenhauses aus dänischem, gelbem Backstein, einem damals sehr modernen Baumaterial, der nur auf den mittleren zwei Dritteln der Hofseite weiß verputzt ist. Aus der Ferne wirkt das Haus optisch daher erst einmal deutlich kleiner, als es dann in Wahrheit ist. Auch die Wirtschaftsgebäude waren Teil des architektonischen Gesamtkonzepts für Drült. Bundsen, der auch für das bedeutende Herrenhaus Knoop am heutigen Nord-Ostsee-Kanal verantwortlich zeichnet, schuf hier von 1806 bis 1807 seine mit Abstand unkonventionellste Gutsanlage. Der italienische Stuckateur Francesco Antonio Tadey (1767–1827) setzte dem Ganzen mit einem türkisfarbenen Gartensaal mit Stuckaturen nordischer und südländischer Pflanzen noch ein filigranes Sahnehäubchen auf.

Heute ist Frederik v. Rumohr (* 1974) hier zu Hause. Unter anderem hier. Mit seiner Frau Maya (* 1977), einer promovierten Kinderärztin und Pulmologin, und den vier Kindern im Alter von fünf bis 14 Jahren lebt er eigentlich in Hamburg. Zweimal pro Woche aber geht es in zwei Stunden Autofahrt nach Drült, zum land- und forstwirtschaftlichen Gut, das er 2017 nach dem Tod seines Vaters Cai Asmus Wilken v. Rumohr (1939–2017) übernahm. Außerdem pendelt v. Rumohr regelmäßig nach Berlin, wo er als Teil seines Beratungsunternehmens für strategische Kommunikation Blum|Fischer|Rumohr Kunden wie das Auswärtige Amt oder das Bundesministerium der Verteidigung berät. Und als seien das noch nicht ausreichend viele Ablenkungen, ist er zudem Inhaber der Staudengärtnerei Gräfin von Zeppelin in Baden-Württemberg, die er seit zehn Jahren gemeinsam mit seiner Mutter Aglaja v. Rumohr geb. v. Stein(* 1946) führt. Mit der Leitung der renommierten Staudengärtnerei hat er in den vergangenen Jahren gelernt, wie man unverschuldet altersschwächelnde Betriebe mit Potenzial wieder auf Vordermann bringen kann. In erster Linie gehe es darum, nicht starr an alten Konzepten zu hängen, sondern Wertschöpfungen kreativ neu zu erdenken, zur Sanierung auch Investitionen zu wagen und den Betrieb und seine Flächen so nachhaltig in die Wirtschaftlichkeit zu überführen, so v. Rumohr. Im Markgräflerland habe das gut geklappt und die Staudengärtnerei nach sechs Jahren wieder Gewinn abgeworfen. Nachvollziehbar zu produzieren und damit auch dem Konsumenten wieder näherzukommen sei immer sein großes Ziel gewesen.

Hofgarten

Nun soll das Konzept auch in Drült funktionieren. Zu v. Rumohrs dortigem „Gemischtwarenladen“, wie er ihn selber nennt, gehören unter anderem Holz, Honig und Hühner. Gerade einmal 3000 Küken pro Saison ziehen er, Betriebsleiter Peter Nöhrnberg und seine Belegschaft hier pro Jahr in kleinen Gruppen von etwa 400 Tieren auf, bei freiem Auslauf versteht sich, der natürlichsten und artgerechtesten Form der Hühnerhaltung. Winters wie sommers tummelt sich das Rumohr’sche Federvieh auf den großen Weideflächen des Betriebes. Es erhält keinerlei Medikamente, ganz gezielt etwas zu wenig Futter und ist daher tagsüber ununterbrochen auf natürlicher Futtersuche. Dementsprechend hervorrageng fällt am Ende seines Lebens, das im Übrigen doppelt so lange währt wie das eines konventionell gemästeten Huhns, sein Fleisch aus. Auf das ist die Feingastronomie des Umlandes bis nach Hamburg längst aufmerksam geworden. Wozu sich französische Edelhühner über Tausende Kilometer in den hohen Norden karren lassen, wenn nur 150 Kilometer von Hamburg kerngesunde und vor allem köstliche Hühner über die Naturwiese laufen? Immer dienstags schlägt für die glücklichen Bauerngockel das letzte Stündlein. Die Hofschlachtung durch eigene Mitarbeiter garantiert kurze Wege und möglichst wenig Stress für die Tiere. Wer bis Montagmittag bestellt, kann sie am Wochenende bei sich zu Hause zubereiten und verzehren. Frederik v. Rumohrs Vorfahre Carl Friedrich v. Rumohr (1785–1843) hätte seine Freude dran gehabt. Schließlich war der gelehrte Vorfahr einer der ersten in Europa, der mit seinen Schriften ein Nachdenken über Ernährung, Küche und Esskultur in Gang setzte – und bis heute dafür von Köchen und Gastronomiekritikern gefeiert wird.

Familie

Auch heute herrscht auf Rumohr’schem Terrain wieder Wertschätzung für das vermeintlich Einfache und der unbedingte Glaube an Nachhaltigkeit. In der Forstwirtschaft beispielsweise, die Frederik v. Rumohr ebenfalls betreibt. 180 Euro für eine 160 Jahre alte Buche, nur weil deren Holz nicht ganz perfekt ist? „Das kann ich doch der Buche nicht erzählen!“, entfährt es ihm erbost über die mangelnde Anerkennung des langen Baumlebens auf dem internationalen Markt. Nun hat er sich ein eigenes kleines Sägewerk angeschafft und verarbeitet die Ernte aus dem laubwaldreichen Drülter Holz zu Balken und Brettern für heimische Tischlereien. Dabei orientiert er sich am Lübecker Modell, einem von den Umweltverbänden unterstützten und vom Umweltministerium ausgezeichneten Konzept zur ressourcenschonenden Forstwirtschaft. Nur wenige ausgewählte Bäume werden vorzugsweise im Winter während der Saftruhe und bei gefrorenem Boden entnommen. Alles, was dann übrig bleibt, wird energieeffizient mit der Abwärme eines lokalen Blockheizkraftwerks getrocknet und ebenfalls verwertet: Im edlen Karton mit Wappenaufdruck, dunkelgrün für Ofenholz, weinrot für Kamine, wird das gespaltene Kronenholz anschließend als „Ein-Abend-Packung“ in den norddeutschen Raum verkauft. Dass v. Rumohr es nicht im profanen Plastiknetz anbietet, hat mehrere Gründe: „Erstens halte ich diese Netze für eine absolute Umweltsünde, zweitens sehen sie furchtbar hässlich aus, und drittens lässt sich Holz im Karton besser stapeln und leichter tragen!“ Tatsächlich kosten die 14 Liter Holz im Karton mit Wappen um die 9 Euro. Aber aus vielen schicken Ferienhäusern zwischen Hamburg und Sylt sind die hübschen und staubfrei transportierbaren Feuerholzkartons nicht mehr wegzudenken.

Gartensaal

Frederik v. Rumohr steht off en dazu, geradezu pingelig auf Verschwendung zu reagieren: „Wo immer es geht, versuche ich, Nebenprodukte bestmöglich zu verwerten.“ Deswegen nennt er seit dem vergangenen Jahr auch eine Dörranlage sein Eigen. Alles, was nach der Hühnerschlachtung nicht mehr für den menschlichen Verzehr geeignet ist, vor allem die Füße und Hälse, wird mit regenerativer Energie auf dem Hof zu Hundesnacks gedörrt. Die Kerne der Sonnenblumen auf den Bienenweiden können nach dem Abblühen Vogelfutter werden oder wie die Beeren, Äpfel und Nüsse des Gutes mit Hafer ins ebenfalls angebotene Porridge wandern. Einmal im Jahr erscheint ein kleiner feiner Katalog mit den auf Drült produzierten Waren, der auch Wildprodukte und fertige Hühnergerichte im Glas beinhaltet. Verkauft wird bisher im reinen Direktvertrieb über Internet und Katalog. „Noch mag das alles auf manche wie eine Spielerei wirken“, sagt v. Rumohr sehr selbstbewusst, „aber ich bin überzeugt, dass die subventionsgesteuerte Anreiz-Landwirtschaft heutiger Zeit letztlich für Landwirte, Konsumenten und Steuerzahler unbefriedigend ist. Was wir hier anstreben, ist im Grunde subventionsfreie bäuerliche Landwirtschaft der 1950er-Jahre – und die ist in ihrem Kern hochmodern und Mensch, Tier und Land zugewandt.“

Sagt’s und rast im Sauseschritt weiter über den Hof, sodass selbst Deutsch-Kurzhaar Turo kaum hinterherkommt. Den Katalog zu den Produkten von Gut Drült gibt es unter www.gut-druelt.de