BurgInnenhof t

Oase in der Streusandbüchse

Die Familie v. Lochow hat nach der Wende das Erbe der Vorfahren in Brandenburg erfolgreich wiederbelebt. Hier managt sie das erste Skatehotel der Welt.

Von Henrike Freifrau v. Speßhardt

Wer vor Erfindung des Löschpapiers Schreibschmierereien verhindern wollte, griff im Mittelalter zur Streusandbüchse, um der fetten Tinte ihre Feuchtigkeit mittels Sandaufbringung zu entziehen. Heute ist der damals allseits gebräuchliche Alltagsgegenstand vergessen. Geblieben ist jedoch der daran angelehnte, uralte Spitzname des damaligen Kurfürstentums Brandenburg, dessen sandig karger Boden dem rieseligen Schreibsand offenbar schon damals in nichts nachstand.

Im Landkreis Teltow-Fläming, eineinhalb Stunden von Berlins Mitte entfernt, lebt Ferdinand VII. v. Lochow mit seiner Familie auf genau dieser Streusandbüchse, im 500 Seelen zählenden Dorf Petkus. Der Boden gehört zu den trockensten Deutschlands, die Grundwassertiefe beträgt oft 100 Meter und mehr, es fällt wenig Regen, und die Erträge sind entsprechend hart erwirtschaftet. Auf besonders schwierigen Flächen fallen sie bis heute dürftig aus. Das ärgerte schon Ferdinand III. v. Lochow, den Ururgroßvater des heutigen Gutsbesitzers, denn das gängige Saatgut der Zeit ging auf seinem Acker einfach nicht vernünftig auf. So sehr wuchs der Zorn darüber, dass er ab 1881 kurzerhand eine neue Roggenart erfand und damit als Pionier der Pflanzenzüchtung in die Geschichte eingehen sollte.

KarlAnton t

Roggenkönig mit Tropenhelm

Ferdinand III., der während des Deutsch-Französischen Kriegs 1871 eine Kopfverletzung davongetragen hatte und daher stets zum Schutze einen Tropenhelm trug, ging planmäßig vor: Er teilte Parzellen seines Besitzes ab und baute darauf verschiedene Sorten Roggen an. Durch die Methode der ständigen Auslese bester Pflanzen und Körner entstand in mühevoller Handarbeit und durch Einsatz jedes einzelnen Familienmitglieds über die Jahre der anspruchslose, aber extrem leistungsstarke Petkuser Roggen. Wer sich zuvor über den kauzigen Landwirt mit Helm und Sortiertick amüsiert hatte, wurde nun eines besseren belehrt: Der Petkuser Roggen trat schnell den Siegeszug über ganz Deutschland und viele Nachbarländern wie Schweden, Polen, Böhmen, Mähren, Österreich oder Ungarn an. Auf den Pariser Weltausstellungen von 1900 und 1910 gewann Ferdinand v. Lochow gar den ersten Preis für seine Züchtung, und noch 1920 schrieb der Agrarökonom Friedrich Aereboe: „Was hat ein Mann wie Ferdinand von Lochow-Petkus der Menschheit an Brot geliefert, indem er durch seine Roggenzüchtung den Ertrag mindestens um ein Fünftel zu heben gewusst hat. Sein Erfolg steht sicher hinter dem Friedrichs des Großen, der die Lupine bei uns eingeführt hat, nicht zurück.“

Der Ruf als „Roggenkönig“ des Kaiserreichs war begründet, Ferdinand brachte den Fortschritt ins Dorf, hohe Besuche aus Berlin waren keine Seltenheit, und schon bald folgt der Ausbau der züchterischen Aktivitäten. Ob Hafer, Kartoffeln, Lein, Schweine, Milchvieh oder gar Kiefernbäume – rein gar nichts war mehr vor dem Roggenkönig sicher, der 1926 im Alter von 77 Jahren verstarb.„Er war einfach der Bringer!“, erzählt Ururenkel Ferdinand VII. (Jahrgang 1969) lachend. Auch er musste und muss Erfindungsreichtum in der Annäherung an die sandige Heimat beweisen. Gemeinsam mit seiner Frau Alexandra, geb. v. Pfuhlstein, und vier Kindern zwischen 9 und 15 Jahren wohnt Ferdinand VII. seit 2006 im wiederaufgebauten Alten Gutshaus Petkus. Beide leben freilich schon viel länger im Ort und führen gemeinsam das erste Skatehotel der Welt, das unmittelbar an die „Flaeming-Skate“ angrenzt. „Eine vergleichbare Strecke gibt es in ganz Europa nicht“, sagt Alexandra v. Lochow über die insgesamt 230 km lange, fein asphaltierte Skatestrecke vorbei an idyllischen Dörfern und Städten im Niederen Fläming und Baruther Urstromtal.

KarlAnton t

Schulklassen kommen zum Skaten

Als kurz vor der Jahrtausendwende mit Fördermitteln zur Tourismusentwicklung die Arbeiten an der Strecke in der strukturschwachen Region begonnen wurden, nutzten v. Lochows die Chance und begannen mit dem Umbau des ehemaligen Saatzucht-Hauptgebäudes im Ortskern zum Hotel. 2002 wurde es zeitgleich zur Skatestrecke eröffnet und gleich als „Skatehotel“ angepriesen. In der Woche beherbergen v. Lochows heute vor allem Schulklassen aus Berlin und Brandenburg, am Wochenende werden aus den hell eingerichteten Gruppenzimmern Unterkünfte für vom Rollen und Radeln begeisterte Gruppen oder Familien auf Landpartie. Auch Familientage haben v. Lochows schon beherbergt. Insgesamt kommen sie so auf stolze 10 000 Übernachtungen pro Jahr in 18 Zimmern und 75 Betten. Ein großer Spielplatz, ein Volleyballfeld mit Grillstelle, ein großes Spielzimmer für Regentage und das hauseigene Café und Restaurant „Der Roggenkönig“ gehören mit zum 13 Mitarbeiter starken Betrieb.

Zudem bewirtschaftet die Familie mit weiteren Mitarbeitern rund 600 Hektar Ackerbaufläche, seit 2009 als Biobetrieb nach den Richtlinien des Biolandverbands. Auf den Flächen werden vornehmlich Roggen, Dinkel, Weizen, Gerste, Hafer und andere Getreidesorten angebaut. Zunehmend gesellen sich Kurzumtriebsplantagen mit Pappeln dazu, denn diese wurzeln tief, brauchen weniger Wasser und eignen sich dadurch ausgesprochen gut für die Böden der Region. Die Familie heizt mit Holzhackschnitzeln, große Flächen der Scheunendächer sind mit Fotovoltaik bestückt, und Windkraftanlagen befinden sich zurzeit im Genehmigungsverfahren. Es geht also voran im von den Preußen einst als Löschpapiervor gänger verhöhnten Landstrich.

Vertreibung nach Hamburg

Was allerdings heute so fröhlich klingt, hat freilich eine lange Vorgeschichte. Die beginnt in Petkus im 19. Jahrhundert (siehe Kasten zur Historie), aber wie so oft bringen auch in dieser Erzählung die furchtbaren Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs den wirklich großen Bruch.

Am 1. August 1941 fällt Ferdinand V. v. Lochow. Erst einen Monat zuvor hat er den Betrieb von seiner Mutter überschrieben bekommen. Er hinterlässt eine Frau mit zwei kleinen Kindern. Eines davon ist Ferdinand VI., der Vater des heutigen Gutsbesitzers. Es folgen Vertreibung und die Flucht zu Fuß nach Hamburg im April 1945. Das gesamte Saatgut ist schon ein Jahr zuvor von einem treuen Mitarbeiter in Tausende Tüten verpackt nach Niedersachsen geschafft worden. Es wird später beim Aufbau der Saatzucht Ferdinand v. Lochow-Petkus GmbH (heute in die KWS Saat AG eingegangen) bei Celle Dienste leisten. Derweil ist der Betrieb in Petkus schon enteignet worden und in ein staatliches Institut für Getreidezüchtung aufgegangen. Die Zeit der Familie v. Lochow in Petkus scheint für immer beendet.

KarlAnton t

Nach der Wende freundlich wieder aufgenommen

Doch so ganz wollen sich beide Seiten damit nicht anfreunden. Auch bei Teilen des Dorfs bleibt über die Jahrzehnte die Identifikation mit der Familie erhalten. Als 1981 die Straße am Gutshaus nach Iwan Wladimirowitsch Mitschurin benannt wird, einem russischen Botaniker und Pflanzenzüchter, regt sich Unmut. Wofür hat man denn den berühmten Roggenkönig? Nach vielem Hin und Her entschied der Gemeinderat noch 1981, auch eine Straße nach Ferdinand v. Lochow zu benennen. „Insgesamt sind wir in Petkus nach der Wende sehr freundlich aufgenommen worden. 30 Prozent haben sich richtig gefreut, dass wir zurückgekommen sind, 60 Prozent war es egal, 10 Prozent hat es gar nicht gefallen. Das ist ein ziemlich guter Schnitt für die Zeit nach der Wende, wie ich finde“, sagt Ferdinand VII. v. Lochow. Von Anfang an habe man Wert darauf gelegt, gemeinsam mit dem Dorf an einem Strang zu ziehen und den Austausch stets aufrechtzuerhalten.

Die Heimat ist noch unbekannt

Als sich allerdings nach der Wende der Direktor der örtlichen VEG Tierproduktion bei der Familie meldet und anfragt, ob man kein Interesse daran habe, wieder zu übernehmen und damit die Liquidation abzuwenden, überwiegt zunächst der Respekt vor der Aufgabe. „Zwar hatte mein Vater Landwirtschaft studiert mit genau dem Hinter gedanken, eines Tages wieder nach Petkus zu gehen, aber da wurde es plötzlich doch sehr konkret!“, sagt Ferdinand VII. v. Lochow. Zweimal hatten v. Lochows bis dahin Petkus besucht. Heimlich, denn den Mitgliedern der Familie war es ausdrücklich verboten, sich dem Dorf zu nähern. So meldete man sich in Mecklenburg an, fuhr in kognito vorbei und knipste trotzdem unbemerkt Fotos. Doch trotz der stets gefühlten Verbundenheit blieb die Heimat doch die große Unbekannte.

Nach dem Besuch des VEG-Direktors wird kurz beratschlagt, dann ist man sich einig, das Wagnis eingehen zu wollen, und der 21-jährige Ferdinand VII. geht als landwirtschaftlicher Assistent nach Petkus, um den Betrieb von der Pike auf kennenzulernen. Als in den nächsten Monaten klar wird, dass die Familie den alten Besitz nicht von der Treuhand zurückerhalten wird, herrscht große Enttäuschung, und man ist kurz davor, das ganze Projekt aufzugeben. Glücklicherweise hält Angelika v. Lochow gegen den Unmut von Ehemann und Sohn und überzeugt beide davon weiterzumachen.

Herausforderung angenommen

1992 gründen Vater und Sohn eine GbR, pachten große Teile des ehemaligen Besitzes und übernehmen unter anderem fünf Mitarbeiter und 130 Kühe. Noch arbeitet Vater Ferdinand VI. für ein großes Unternehmen für Agrarchemie in Niedersachsen, und Mutter Angelika „schmeißt das Ganze vor Ort“, wie Ferdinand VII. erzählt. 1994 kann der Vater die Regionalleitung des Chemieanbieters in der Nähe von Petkus übernehmen, sodass fortan beide Eltern fest im Dorf leben. Ferdinand VII v. Lochow konzentriert sich derweil wieder auf sein Studium der Betriebswirtschaftslehre und arbeitet anschließend als Unternehmensberater. Im Jahr 2000 beschließt er, ebenfalls ganz nach Petkus zu ziehen und „richtig und längerfristig“ dort zu bleiben. Da passt es gut, dass er kurz zuvor in Berlin eine Frau kennenlernt, die zwar ursprünglich aus der Nähe von Freiburg stammt und ein Politologiestudium abgeschlossen hat, aber „fortan eher in den Baumarkt fährt“, wie Alexandra v. Lochow heiter erzählt. Auch sie nimmt die Herausforderung an und ist von Anfang an Feuer und Flamme für das Projekt. Die tiefe und selbstverständliche Verpflichtung, sich in ihrer Gemeinde zu engagieren und sich mit der Region zu identifizieren, schlägt sich in den vielen politischen Ehrenämtern nieder, die alle Familienmitglieder in Petkus bekleiden.

Ganz ohne Firlefanz

Mit Geduld, Ausdauer und Ideenreichtum haben v. Lochows die alte Heimat erfolgreich wiederbelebt. Ganz ohne Firlefanz und Beiwerk, so wie schon ihre Ahnen: „Als ich während der Sanierung des Gutshauses einmal ganz empört bemängelte, sogar den Stuck hätten die Banausen ja abgeschlagen, wurde ich doch recht rasch korrigiert“, lacht Alexandra. „Lochows hatten noch nie Stuck an der Decke!“