Schloss Karlstein

Karlstein im Bayerischen Wald: „Erhaltet mir die Heimat!“

… schrieb Max Ulrich Graf v. Drechsel in seinem Abschiedsbrief am 4. September 1944 – dem Tag seiner Hinrichtung. Sein Neffe Ferdinand Graf v. Drechsel und Ehefrau Gabriele machten sich diesen Wunsch zur Lebensaufgabe. Sie renovierten Schloss Karlstein bei Regenstauf samt der dazugehörigen Burgen, bewirtschaften den Wald und pflegen die Erinnerung an den Widerstandskämpfer

Von Dorothee Gräfin v. Walderdorff

Wird es uns gelingen, das Schloss zu renovieren, die unzähligen Räume zu beleben? Was wird aus den baufälligen Burgen, den eigentlich viel zu großen Wirtschaftsgebäuden?“ Letztlich jedoch erwiesen sich all diese Überlegungen als rein theoretisch, denn wie ein Stern leuchtet über Karlstein der Satz: „Erhaltet mir die Heimat!“ Davon geleitet nahmen die jungen Schlossherren die Herausforderung an, stürzten sich in aufwendige Renovierungsarbeiten und machten es sich zur Lebensaufgabe, die Tradition der Vorfahren fortzuführen.

Musikzimmer

Widerstand aus Überzeugung

Max Ulrich Graf Drechsel (1911–1944) wuchs als viertes Kind von Dr. Carl August Graf v. Drechsel und seiner Frau Caroline geb. Gräfin v. u. zu Lerchenfeld auf Köfering und Schönberg mit seinen fünf Geschwistern in Karlstein auf. Ein aufgeweckter, fröhlicher Junge, ein starker Charakter, der sich schon als Schüler blindem Gehorsam verweigerte. Mehrfach musste der kleine Rebell aus dem Schloss die Schule wechseln, studierte schließlich Jura in München, Paris, Innsbruck und Erlangen.

Nach seinem juristischen Examen, im Jahr 1933, wurde Graf Drechsel Referendar am Amtsgericht Regenstauf. Bald jedoch wollte er sich dem zunehmenden Einfluss der Nationalsozialisten auf die Justiz nicht mehr fügen. Flagge zeigen, Farbe bekennen, und wenn es ein muss, die Konsequenzen ziehen. So hat er gelebt. Er beendete seine juristische Laufbahn und trat 1934 als Offiziersanwärter in die Reichswehr ein. Nach einer Verwundung im Jahr 1941 wurde Graf Drechsel, der unter anderem beim Deutschen Afrikakorps gedient hatte, als Offizier nach München versetzt. Er war ein Freund Stauffenbergs, wurde in dessen Pläne eingeweiht und als Verbindungsoffizier der Widerstandsgruppe für den Wehrkreis VII, München, eingesetzt.

Nach dem gescheiterten Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 ging Drechsel in Heimaturlaub, reiste zu seinen Eltern nach Karlstein. Erst Mitte August kehrte er wieder nach München zurück, die Gestapo hatte bereits die Liste der am 20. Juli 1944 beteiligten Offiziere entdeckt. Am 12. August wurde Max Ulrich Graf Drechsel auf der Theatinerstraße von der Gestapo abgeführt. Zufällig wurde Albrecht Graf v. Rechberg Zeuge, erkannte erst später, dass dies ihre letzte Begegnung sein sollte.

Als „Mittäter des Aufstands“ wurde Drechsel ins Gefängnis Berlin-Moabit gebracht. Ausgestoßen aus der Wehrmacht, ohne Rechtsbeistand, verbrachte er Tage und Nächte allein in seiner Zelle. Unerschrocken und von einer tiefen katholischen Gläubigkeit gestärkt, erwartete der erst 32-Jährige seinen Tod.

Am 4. September 1944 wurde Max Ulrich Graf noch am selben Tag erhängt. Sein Leichnam wurde verbrannt, die Asche auf den Wiesen der Berliner Abwasserentsorgung verstreut.

Rittersaal

Der Widerstandskämpfer wird zur Leitfigur

Dr. Carl August Graf v. Drechsel vermachte Karlstein seinem ältesten Sohn Carl Ludwig. Kinderlos übergab dieser den Besitz 1968 seinem jüngsten Bruder Franz, der mit Elisabeth Freiin v. Moreau eine Tochter und drei Söhne hat. Als deren ältester Sohn Ferdinand 1992 mit seiner Frau Gabriele den Familienbesitz übernahm, begann eine neue Ära für Karlstein. Die Grenzen zum benachbarten Tschechien öffneten sich, neue Möglichkeiten eröffneten sich. Ferdinand Drechsel konnte dort sehr gute, noch bezahlbare Handwerker und Restauratoren für Karlstein gewinnen. Mit hohen ästhetischen Ansprüchen wurde alles Sichtbare und Schöne – und das sind in Schloss Karlstein vor allem die wertvollen Tapeten – restauriert. Mit feinstem Pinselstrich wurden Kratzer und Scharten in der um 1810 bei Zuber in Rixheim angefertigten Tapete „Les vues d’Alsace“ ausgebessert. Der damals noch sehr junge Papierrestaurator Boris Kvasnica, den Drechsel nach jahrelanger Suche ausfi ndig machte, lieferte ein Meisterwerk mit der originalgetreuen Wiederherstellung der Laubentapete und der Ledertapeten im Rauchzimmer. Heute ist Kvasnica ein weltweit anerkannter Spezialist, der auch mit dem Getty-Institut in den USA zusammenarbeitet und als Professor für Restaurierung von Papier an den Hochschulen in Prag und Bratislava lehrt. Nach umfassenden Renovierungsarbeiten ist Schloss Karlstein heute dezent modernisiert und in großen Bereichen so erhalten, wie es zwischen 1810 und 1870 gestaltet wurde.

Auch die Orangerie, die 1842 als Hochzeitsgeschenk von Prinz Carl v. Bayern an seine Tochter Maximiliane zur Vermählung mit August Graf Drechsel erbaut wurde, ist aus ihrem „ruinösen Dornröschenschlaf“ erwacht und strahlt in altem Glanz. Neu ist das großformatige Fotokunstwerk von Michael v. Hassel im Gartensalon. Letztes Jahr wurde die Orangerie mit einem Denkmalpreis ausgezeichnet.

„Erhaltet mir die Heimat!“ – und zu dieser gehören auch mehrere aus dem Mittelalter stammende Burgen, die weit verstreut auf den Hügeln über dem sich dahinschlängelnden Flüsschen Regen liegen. Mit zum Teil jahrelangen Baumaßnahmen rettete die Familie sie vor dem Verfall. Jetzt ist die Burgruine Stockenfels, ein ehemaliges Jagdschloss von Kaiser Ludwig des Bayern (1282–1347) wieder Ziel für den Wandertourismus im Bayerischen Wald. Die einsturzgefährdete Burg Stefling wurde gar zur „Perle des Regentals“ und wird bewohnt. Auch das „Alte Forsthaus“ und das „Alte Schulhaus“ im Dorf Karlstein, beide datiert auf 1700, wurden grundsaniert und vermietet. Das letzte Projekt der Familie war die Burgruine Forstenberg. Ein fünfeckiger mächtiger Turm, mitten im Wald, der als Zeugnis mittelalterlicher Baukunst fachmännisch abgesichert wurde. Ferdinand Graf Drechsel und seine Frau Gabriele haben viele Räume und viele Mauern in Karlstein vor dem Verfall gerettet, den letzten Wunsch des „hingerichteten Onkel Maxl“ mehr als erfüllt – und sie sorgen dafür, dass die Erinnerung an ihn lebendig bleibt.

Rokokosalon

Die Max-Ulrich-von-Drechsel-Realschule

Die Realschule in Regenstauf trägt den Namen des Widerstandskämpfers. Sein Satz „Erhaltet mir die Heimat!“ wird im Geschichtsunterricht, aber auch in anderen Fächern aufgegriffen und interpretiert. Lebensberichte von Widerständlern wie „Gedanken sind Kräfte“ von Axel Smend zählen zur Pflichtlektüre. Jeweils in der Abschlussklasse verleiht die Familie den Graf-v.-Drechsel-Preis an einen Schüler mit außergewöhnlicher Zivilcourage. Eine Klasse entwarf anlässlich des 100. Geburtstags von Max Ulrich ein Denkmal, das von der Steinmetzin und Bildhauerin der Regensburger Domhütte, Lucia Torge, gefertigt wurde und am 3. Oktober 2011 vor großem Publikum mit Reden von Albrecht Graf Rechberg und der damaligen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer in Karlstein eingeweiht wurde. Seit dem letzten Jahr erfreut sich die Max-Ulrich-von-Drechsel-Schule, als erste Realschule in Deutschland, an einer Partnerschaft mit der „Stiftung 20. Juli 1944“ in Berlin. Zum Jahrestag im letzten Sommer besichtigte eine Gruppe von Schülern aus Regenstauf die Hinrichtungsstätte Plötzensee, stand da, wo Max Ulrich Graf Drechsel für seine Überzeugung starb.

„Es sind aber nicht nur die Glanzpunkte, die Jahrestage oder Ehrungen, die mich an meinen Onkel erinnern“, erklärt Ferdinand Graf v. Drechsel. „Sein Mut und sein Tod haben mich geprägt und unserer Familie den Weg gewiesen.“