Sierhagen

Die Plessens in Dänemark

Die Güter Lindholm, Saltø und Selsø in Dänemark und Sierhagen in Schleswig-Holstein verbindet eine gemeinsame Geschichte. Und die beginnt mit einem Aussteiger.

Von Dorothee Gräfin v. Walderdorff

Man könnte einen Roman schreiben. Stoff dafür bietet diese Familie mehr als genug. Es gäbe dafür sogar schon eine Vorlage: Die zweibändige Familienchronik „Maueranker und Stier“. 44 Autoren, darunter auch die bekannte Kunsthistorikerin Dr. Marie-Louise Gräfin v. Plessen, haben die Biografien der bedeutendsten Familienmitglieder von den Anfängen im 9. Jahrhundert bis in die Nachkriegsjahre zusammengestellt. Genug Material für einen dicken, vielleicht sogar mehrbändigen historischen Roman. Ein Artikel aber zwingt zur Kürze. Deshalb beginne ich mit dem Abenteurer, der sein Land verließ, um am dänischen Königshof sein Glück zu finden und den dänischen Zweig der Familie zu gründen.

Lindholm

Der Pionier aus Mecklenburg

Ein junger Mann mit tadellosen Manieren, ausgebildet in der Ritterschule in Lüneburg, aufgewachsen auf dem väterlichen Gut Hoikendorf in Mecklenburg, bewarb sich mit 31 Jahren am Kopenhagener Hof: Christian Siegfried von Plessen (1646–1723). Schnell diente sich der geschmeidige Aristokrat zum Kammerjunker von Prinz Jørgen, dem Bruder des dänischen Königs Christian V., hoch. Er durfte ihn zu dessen Hochzeit mit Anne of York, der späteren Queen Anne Stuart, begleiten.

Zurück in Dänemark verwaltete Plessen die Einkünfte seines Landesherrn, erhielt einen Sitz im Geheimrat und vertrat schließlich die Interessen Christians V. auf dem Kongress von Rijswijk. Der König honorierte sein diplomatisches Geschick mit dem ältesten dänischen Ritterorden: dem Elefantenorden.

Gutsherr und Staatsdiener

Unter den 13 Kindern von Christian Siegfried von Plessen gelang es vor allem seinem ältesten Sohn aus der ersten von drei Ehen, die väterliche Karriere am dänischen Königshof fortzuführen. Als königlich dänischer Geheimrat bewegte sich Christian Ludvig d. Ä. (1676–1752) in den Kreisen des dänischen Hochadels und am liebsten in der Nähe von Charlotte Amalie, der einzigen Tochter des vermögenden Mogens Skeel. Dieser hatte verfügt, dass sein ältester Enkel und späterer Erbe den Namen Skeel (später Scheel) mitsamt dem Skeel’schen Wappen zu führen habe. Als die gerade mal 16-jährige Charlotte Amalie den zehn Jahre älteren Christian Ludvig von Plessen heiratete, war sie bereits Vollwaisin und Erbin von Selsø und Fussingø, dem Stammsitz der Familie Skeel. 1725 ernannte Frederik IV. den ambitionierten Plessen zum Staatsrat. Das damit verbundene stattliche Gehalt ermöglichte ihm den Kauf von Gut Lindholm. Es liegt auf halber Strecke zwischen Selsø und Kopenhagen. Für den viel beschäftigten Minister, der ja noch mit der Kutsche reiste, eine große Erleichterung. Nach dem Tod von König Frederik IV. im Jahr 1730 übertrug sein Nachfolger Christian VI. ihm das Finanzministerium. Als Anerkennung für seine solide Haushaltspolitik schenkte ihm der Souverän das auf einer Halbinsel im Roskildefjord gelegene Gut Bognæs. Eine Arrondierung seiner auf Seeland gelegenen Güter Selsø und Lindholm. Dann aber sank sein Stern. Nach vielen Streitigkeiten verließ Christian Ludvig d. Ä. den Staatsdienst, widmete sich der Verwaltung seiner Güter, vor allem aber der Förderung der Wissenschaften. Er gründete das Scheel-Plessen’sche Legat, das Stipendien für Studenten vergibt und bis heute besteht. 1752 starb Christian Ludvig d. Ä. Sein ältester Sohn Mogens, der Erbe von Fussingø, trug als Erster den Namen Skeel (Scheel)-Plessen.

Saltø

Sozialreformer und Supererbe

Würde man einen Roman schreiben, würde auch Christian Ludvig d. J. (1741–1801) ein eigenes Kapitel gewidmet. Der Sozialreformer richtete Schulen für Arbeiterkinder ein und führte als Erster auf seinen Gütern die Erbpacht ein – gegen den erbitterten Widerstand der Aristokratie. Der König jedoch unterstützte seine Reformen, beförderte Christian Ludvig d. J. zum Geheimrat und dekorierte ihn mit Orden.

Sein einziger Sohn Mogens Scheel von Plessen (1778–1819) starb früh und kinderlos. Sein Erbe ging an seinen Vetter ersten Grades, Mogens Joachim Scheel von Plessen. Das Schicksal machte ihn zum Supererben. Noch vor seinem 25. Geburtstag erbte er zehn Güter: Grünholz (1804) von seinem Vater; Sierhagen (1809) als Universalerbe seines Großonkels mütterlicherseits, Geheimrat Wulf Heinrich von Thienen; Wahlsdorf (1809) von seinem Großonkel Carl Adolph von Plessen; Saltø und Harrested (1819) von seinem Vetter Mogens – und schließlich Selsø, Lindholm, Bognæs sowie das Stammgut Fussingø von seiner mit 84 Jahren verstorbenen Tante Agathe Johanne von Scheel-Plessen, der Witwe Christian Ludvigs d. J. König Frederik VI. erhob den reich begüterten Aristokraten 1830 in den dänischen Grafenstand. Seitdem führte die Familie den Titel Lehnsgraf von Scheel-Plessen und vereinte die Wappen beider Familien – links der schwarze Stier und rechts der weiße Schwan in einem prachtvollen Allianzwappen. Der Lehnsgraf lebte mit seiner Familie in Sierhagen. Als holsteinischer Standesherr, seit 1756 gehörten die dänischen Plessen der Schleswig-Holsteinischen Ritterschaft an, blieb Mogens Joachim dem dänischen König treu. Dies änderte sich mit seinem jüngeren Sohn Carl Theodor (1811–1892) nach der Niederlage Dänemarks im deutsch-dänischen Krieg von 1864. Otto von Bismarck setzte den ehemals dänischen Staatsrat als Oberpräsidenten der Herzogtümer Schleswig und Holstein ein.

KaminzimmerMuseum

Enteignung nach dem Krieg

Seitdem fühlen sich die Plessens sowohl dänisch wie deutsch, haben je nach Abstammung einen dänischen oder auch einen deutschen Pass. Carl Ludwig Scheel-Plessen (1884–1948) wurde dies im Zweiten Weltkrieg zum Verhängnis. Als ältester Sohn hatte er die beiden Stammsitze Sierhagen in Deutschland und Fussingø in Dänemark geerbt. Um Sierhagen vor den Nazis zu schützen, behielt er seinen deutschen Pass, verbrachte allerdings die Kriegsjahre mit seiner Familie auf Fussingø. Obwohl er dort den Widerstand unterstützte, den halbjüdischen Polizeidirektor von Roskilde in einer Waldhütte versteckte, wurde Fussingø 1946 auf Anweisung der Aliierten enteignet und vom dänischen Staat übernommen. Das gleiche Schicksal erlitt übrigens auch Baron Jenisch, dessen Gut Kalø in Jütland vom dänischen Staat konfisziert wurde. Er ist der Urgroßvater von Philip Baron Malsen-Plessen, der sowohl Kalø wie Fussingø geerbt hätte, wären sie nicht enteignet worden.

Lindholm und Selsø dagegen blieben im Besitz der Familie. In wirklich letzter Minute, im Dezember 1944, hatte der Gutsherr, Magnus Baron von Plessen die dänische Staatsbürgerschaft angenommen.

Es gäbe noch so viel mehr über diese Familien zu erzählen … Dem Abenteurer, Naturforscher und Filmemacher Victor v. Plessen widmen wir aber einen eigenen Artikel (siehe Seite 10). Unerwähnt bleiben leider die Frauen – angefangen bei Charlotte Amalie Skeel über Louise von Plessen (1725–1799) der einflussreichen Oberhofmeisterin der dänischen Königin Caroline Mathilde bis zur Gegenwart … Diese Familie bietet tatsächlich Stoff für einen großen Roman.