Ihre Zahl steigt stetig

Seit den 1980er-Jahren haben nicht adelige Namensträger stark zugenommen.

Eine Analyse von Georg Freiherr v. Frölichsthal

Im September 2015 hat Karl Friedrich Dumoulin im Deutschen Adelsblatt das Thema der sogenannten nicht adeligen Namensträger behandelt („Weniger erlauchte Namen“, S. 4–5). Der Gesetzgeber hat vor allem durch zahlreiche umfassende Reformen des Familien- und Namensrechts zwischen 1957 und 1997 die Möglichkeiten der Namensweitergabe ausgeweitet.
Bisher nicht untersucht wurde die Frage, wie viele nicht adelige Namenträger es denn gibt. Das größte Problem ist dabei die Erfassung der Daten. Seit das GHdA 1997 die Wiedergabe der nicht adeligen Namensträger wegen der Datenbeschaffung und aus datenschutzrechtlichen Bedenken eingestellt hat, gibt es keine überregionale Erfassung mehr. Regional gibt es sie, so etwa im Genealogischen Handbuch des in Bayern immatrikulierten Adels (GHBy). Das alle zwei Jahre erscheinende GHBy listet im Achtjahresabstand alle immatrikulierten Familien auf. Es beschränkt sich aber nicht nur auf die Wiedergabe der Familiengenea logien, sondern führt auch – soweit erfassbar – die „weiteren Namensträger“ auf. Ausgewertet wurden die Jahrgänge des GHBy von 2008 bis 2014.

Ein paar Vorbemerkungen sind zur Klarstellung der ausgewerteten Daten nötig:

  • Namensträger (NT) sind alle Personen, die einen adeligen oder adelig scheinenden Namen führen; solche Namen enthalten die Adelspartikeln „von“ oder „zu“ und einen Adelstitel. Auch Kombinationen eines adeligen mit einem nicht adeligen Namen wurden erfasst (Beispiel: Herr Müller heiratet Fräulein v. Mayer und führt nach der Eheschließung den Namen Müller von Mayer).
  • Die Namensträger setzen sich aus den adeligen (aNT) und den nicht adeligen Namensträgern (naNT) zusammen. Nur Erstere sind nach den bis 1918 geltenden Regeln adelig.
  • Die vier Bände des Gothaischen Genealogischen Handbuches (GGH) umfassen 557 Familien: 27 fürstlich, 80 gräflich, 236 freiherrlich und 214 ritterlich sowie adelig; Letztere beide werden in der Statistik als „adelig“ ausgewertet mit 12 180 ausgewerteten lebenden Namensträgern.
  • Die Datenbasis ist groß genug, um die Relation zwischen adeligen und nicht adeligen Namensträgern statistisch aussagekräftig zu erfassen; die statistische Unschärfe der Auswertung bis zum Geburtsjahrgang 2010 fällt demgegenüber nicht ins Gewicht.

Folgende Ergebnisse lassen sich aus dem ausgewerteten Material gewinnen:

1. Generelles Ergebnis: aNT in % aller NT = 85,8 naNT in % aller NT = 14,2

Dies lässt den Schluss zu, dass die meisten Namensträger, die einem begegnen, auch adelig sind.

2. Verteilung innerhalb der Adelsrangstufen

Weiters wurde ermittelt, ob es einen Unterschied zwischen den einzelnen Adelsrängen gibt.

Abb1

Je höher die Adelsrangstufe ist, desto seltener wurde der Name auf nicht adelige Namensträger übertragen bzw. von den ausgeheirateten Damen behalten oder wieder angenommen.

3. Verteilung nach Geburtsjahrgängen

Nächster Untersuchungspunkt war, wie sich die Zahl der nicht adeligen Namensträger ausgewertet nach Geburtsjahrgängen entwickelt hat.

Abb2

Die Anzahl der nicht adeligen Namensträger in Relation zu der der adeligen Namensträger steigt seit den 1970er-Jahren mit einem kleinen Einbruch mäßig an.

4. Verteilung der naNT untereinander nach Kategorien

In einem Folgeschritt wurden verschiedene Kategorien nicht adeliger Namensträger nach der Art des Namenserwerbs ermittelt:

  • a. Damen, die einmal den adeligen Namen nach Adelsrecht zu Recht getragen haben: Hierunter fallen fast ausschließlich ausgeheiratete Töchter.
  • b. Personen, die durch Heirat den adeligen Namen erworben haben, sei es mit adeligen Damen oder mit nicht adeligen Namensträgern.
  • c. Adoptivkinder und einbenannte Stiefkinder.
  • d. Personen, die durch Geburt das Recht zur Führung des adeligen Namens erworben haben: Darunter fallen z. B. uneheliche Kinder Adeliger (bei adeligen Vätern durch Einbenennung), Kinder bürgerlich verheirateter adelig geborener Mütter und Kinder nicht adeliger Namensträger.
Abb3

Dazu sei Folgendes angemerkt:

  • a. Auffällig ist die ausgesprochen hohe Anzahl der adelig geborenen Damen, die nach Eheschließung mit einem Nichtadeligen ihren Geburtsnamen weiterführen oder in irgendeiner Kombination mit dem Geburtsnamen des Ehemannes führen. Näheres dazu s. u. 5.
  • b. Beim Erwerb des scheinbar adeligen Namens durch Heirat sind die Fälle der Heirat mit nicht adeligen Namensträgern sowie der Heirat mit adelig geborenen Damen fast gleich häufig.
  • c. Adoptionen sind wesentlich häufiger als Einbenennungen von Stiefkindern, Adoptionen im Falle von Kinderlosigkeit (soweit nach den genealogischen Daten zu vermuten) erstaunlich selten.
  • d. Auf diese Kategorie wird unter 6. näher eingegangen.

5. Kategorien der nicht adeligen Namensträger nach Geburtsjahrgängen in Relation zur Summe der Namensträger

Interessant ist auch, wie sich die vier ausgewerteten Kategorien der nicht adeligen Namensträger nach Geburtsjahrgängen über die Jahrzehnte hinweg im Verhältnis zueinander entwickelt haben:

Abb4

Ausgehend von der Überlegung, dass die Anzahl der „hinausgeheirateten“ und der „hereingeheirateten“ Damen ungefähr gleich hoch ist und die Damen 50 % aller adeligen Namensträger ausmachen, gelangt man zum Ergebnis, dass bereits über 20 % aller adeligen Damen ihren Geburtsnamen allein oder in Kombination mit dem Namen des bürgerlichen Ehemanns führen. Es gibt aber viele adelig geborene Damen, die entweder adelig oder gar nicht geheiratet haben und daher herauszurechnen sind; nimmt man an, dass ihre Zahl gemeinsam nur gut halb so hoch liegt wie die der bürgerlich verheirateten Damen, folgt daraus: Heiratet heute eine adelig geborene Dame bürgerlich, so wird sie bereits in einem Drittel der Fälle ihren Geburtsnamen nach der Eheschließung gänzlich oder teilweise weiterführen bzw. später wieder annehmen.

6. Nicht adelige Namensträger, die auf Grund ihrer Geburt ihren Namen führen

Eine Kategorie gibt bei der Auswertung nach Geburtsjahrgängen von Anfang an die endgültigen Zahlen wieder: Kategorie d., das sind jene nicht adeligen Namensträger, die auf Grund ihrer Geburt einen Rechtsanspruch auf ihren scheinbar adeligen Namen haben:

Abb5

Erst aus dieser Kurve wird die wahre Dynamik der Entwicklung der Zahl der nicht adeligen Namensträger ersichtlich: Die Kurve derer, die kraft Geburt einen Rechtsanspruch auf ihren scheinbar adeligen Namen haben, steigt steil und bisher weitgehend ungebrochen an. Der erst in den 1970er-Jahren merklich einsetzende, dafür aber umso steilere Anstieg ist offensichtlich vor allem auf die großen Namensrechtsreformen der Jahre 1979 und 1993 zurückzuführen.

Interessant ist auch die Aufschlüsselung, ob bei dieser Kategorie der Name durch einen adelig geborenen Elternteil (adeliger Vater oder adelige Mutter ohne Eheschließung der Eltern; nicht adelig verheiratete ehemals adelige Mutter) oder durch einen nicht adelig geborenen Elternteil übertragen wurde:

Abb6

Wie man sieht, haben vor allem adelig Geborene von den erweiterten Möglichkeiten des Namensrechts zur Weitergabe ihres Geburtsnamens seit den 1980er-Jahren umfangreich Gebrauch gemacht.

7. Vermutungen über die künftige Entwicklung

Nun kann man auch versuchen, aufgrund der bisherigen Entwicklung zu extrapolieren, wie sich das Verhältnis der adeligen und nicht adeligen Namensträger in Zukunft entwickeln könnte. Die Jahrgänge von 1981 bis 2010 haben wie erwähnt noch kaum bis gar nicht durch Heirat, Adoption oder Einbenennung der Namen weitergegeben bzw. nach der Eheschließung beibehalten. In den Jahrgängen 1941 bis 1970 dürften diese Prozesse in überwiegendem Ausmaß abgeschlossen sein. Für diesen Zeitraum könnte man den Durchschnitt des Verhältnisses der unter diese Kategorien fallenden Namensträger zu den adeligen Namensträgern als Vergleichsbasis nehmen; weiters kann man davon ausgehen, dass auch viele der Namensträger, die kraft Geburt einen Rechtsanspruch auf ihren Namen haben, ihren Namen weitergeben werden. Es kann daher durchaus seriös erwartet werden, dass bei den Geburtsjahrgängen 1981 bis 2010 in 30 Jahren bereits weit über 30 % aller Namensträger nicht adelig sein werden.
Stellt man schließlich den unter Punkt 6 gezeigten steilen Anstieg der nicht adeligen Namensträger, die kraft Geburt einen Anspruch auf ihren Namen haben, in Rechnung, dann erscheint folgende Prognose nicht allzu gewagt: Spätestens in der Generation der in der Mitte dieses Jahrhunderts Geborenen dürfte – mit dem aufgezeigten zeitlichen Verzögerungseffekt – die Anzahl der nicht adeligen Namensträger die der adeligen Namensträger übersteigen.

8. Schlussbemerkungen

  • Die obigen Zahlen der nicht adeligen Namensträger dürften in der Realität noch höher liegen.
  • Die Durchsicht der Genealogien ergibt, dass die vom Gesetzgeber ermöglichte, weitestgehend freie Namenswahl im Bereich der adeligen oder scheinbar adeligen Namen fast ausschließlich in eine Richtung geht: In sehr vielen Fällen (die Zahlen wurden nicht ermittelt) übertragen adelig geborene und bürgerlich verheiratete Damen ihren Geburtsnamen auf ihre Kinder und, etwas seltener, auf ihren Ehemann. Die umgekehrten Fälle – bürgerlich geborene und adelig verheiratete Damen übertragen ihren Geburtsnamen auf ihre Kinder oder ihre Ehemänner – waren in den Genealogien nicht zu finden.
  • Der Adel weist höhere Reproduktionsraten auf als der Durchschnitt der Bevölkerung.

Quelle: Genealogisches Handbuch des in Bayern immatrikulierten Adels, Bände 27–30, Stegaurach 2008–2014