Schloss Leuzendorf

Aufbruch in Unterfranken

Sich im 21. Jahrhundert ein völlig marodes Schloss zuzulegen und es von Grund auf zu sanieren, ist schon ein ambitioniertes Vorhaben für sich. Doch Christopher und Stefanie v. Hugo möchten zugleich auch die dörflichen Strukturen wieder zu neuem Leben erwecken.

Von Henrike Freifrau v. Speßhardt

Tiefstes Unterfranken. Hübsch, aber arm – und das seit Jahrhunderten. Wie von Dürer gemalt, schmiegen sich die Fachwerkdörfer in die kühlen Grunde der sanft hügeligen Landschaft der Haßberge. Im Niemandsland zwischen Coburg und Bamberg liegt das idyllische Leuzendorf. 90 Einwohner hat es noch, die meisten sind über 80 Jahre alt. Mitten im Dorf ein saniertes Landschloss als wahrhaft prachtvoller Anblick. Christopher und Stefanie v. Hugo, geborene v. Kalckreuth, haben sich hier einen Traum erfüllt. 2004 kauften sie das damals marode Gebäude, aus dessen Fensterlaibungen schon die Birken sprossen. Die Öffnungen im Untergeschoss waren gleich ganz zugemauert. Jahrzehntelang hatte man das quadratische Schlossgebäude mit dem eleganten Mansarddach als Getreide- und Kartoffellager missbraucht. Der Voreigentümer, ein Bamberger Archäologieprofessor, begrub die Pläne, seine umfangreiche Literatursammlung im Schloss aufzubewahren, bald nach Kauf unter Zugluft, Kälte und Feuchtigkeit. Immerhin, ein erneuertes Dach hinterließ er den beiden.

Leuzendorfs Schlossherren

Eine geschönte Anzeige

Aus Frankfurt angelockt von einer charmanten Immobilienanzeige mit recht ansehnlichen Fotografien stehen Christopher und Stefanie v. Hugo im Herbst 2003 vor dem in Wirklichkeit schäbigen Kasten. „Am liebsten wäre ich gleich wieder abgefahren“, sagt Christopher v. Hugo, ein Investmentbanker, Unternehmer und Landwirt aus Frankfurt, der als Kind deutscher Auswanderer in Kanada aufwuchs und sich erst mit Mitte 20 wieder in Deutschland niederließ. Seiner Frau zuliebe erklärt er sich zur Besichtigung bereit. „Ich bin in Grabfeld aufgewachsen, rund 30 Minuten von Leuzendorf entfernt, und wollte gern zurück ins Unterfränkische“, erklärt Stefanie v. Hugo, die bis zur Geburt der drei gemeinsamen Kinder als medizintechnische Assistentin in Laboren und Kliniken arbeitete, und ergänzt: „Mir hat das Haus sofort gefallen!“

 

Im Inneren sieht es allerdings nicht eben besser aus als von außen: Hausschwamm, Holzwurm, zerstörte Böden, vermooste Wände, überall nur Chaos und Verwüstung. Allein wuchtige Holzstützen im Untergeschoss schützen das Gebäude noch vor dem Einsturz. Erst als die Schlossbesucher den Rokokosaal im ersten Stock betreten, „war es dann doch um uns beide geschehen“, erinnert sich die Schlossherrin. Zwar ist auch er in einem desolaten Zustand, aber die alte Pracht des für die fränkische Gegend ungewöhnlichen Saals mit feinsten Rocaillen aus dem 18. Jahrhundert und Schaukaminen mit aufgemalten Delfter Kacheln ist noch gut zu erkennen und überzeugt auch ihren Mann sofort.

Rokokosaal

Denkmalpflegerische Sonderwege

13 Jahre und einige Denkmalschutzpreise später nutzen v. Hugos, ihre Tochter Sophie (23) sowie die Söhne Leopold (20) und Heinrich (19), das in neuem Glanz erstrahlende Haus an fast jedem Wochenende und während der Ferien. „Die zweijährige Sanierung war eine unglaubliche Anstrengung, aber sie hat sich gelohnt“, sagt Stefanie v. Hugo, zu recht stolz auf die denkmalpflegerische Superleistung, die vor allem mit Handwerkern aus der nahen Umgebung realisiert werden konnte. Dem Problem mit der Statik kam die findige Frankfurter Architektin Katharina Wellenborn mit einer diskreten Stahlkonstruktion entgegen, dem Wurm wurde unter einer tagelangen Planenabdeckung mit Gasen der Garaus gemacht, und geschickt ausgewählte Heizkörper in Sonderformaten bringen nun Wärme in Räume, in denen nicht einmal Schlitze für Wasser oder Elektrik gezogen werden durften. Denn, auch das ist eine Besonderheit des Schlosses, viele Wände im Gebäude sind mit Malereien versehen, die zum Teil auf die Entstehungszeit im 16. Jahrhundert zurückgehen. Einen ganzen Raum hat man im ersten Stock rekonstruiert, in den anderen Zimmern und Sälen deckt zum Teil Japanpapier die fragilen Werke ab. Gut gesichert überdauern nun Einhörner, Zitronen, Blumen und zarte Friese, ausgeführt in Erdtönen auf einem Putz aus Quark und Kalk, die kommenden Jahrhunderte: „Die Abdeckung hat das Denkmalamt sehr beruhigt, denn je mehr man auf die Malereien atmet, desto eher gehen sie kaputt.

 

So wird erst einmal alles unter der schützenden Papierlage konserviert, und wir konnten uns auch ein bisschen besser nach unseren Vorstellungen einrichten“, sagt Stefanie v. Hugo dazu. Für die Wasser- und Stromleitungen fanden sich ebenfalls denkmalgerechte Lösungen, eine Luft- sowie eine Wasser-Wärme-Pumpe in Kombination mit einer Flüssiggasheizung wurde eingebaut, und im Erd geschoss sorgt Frankens wohl einzige Schloss-Bodenheizung für Wärme. „Da der Bodenbelag komplett fehlte, durften wir die einbauen. Unsere Gäste sind immer völlig verblüfft darüber, wie es in einem Raum mit Steingewölbe derart wohlig sein kann“, freut sich die Schlossherrin.

 

Kein Stillstand

Nun könnte eigentlich Ruhe einkehren, meint man. Doch anstatt sich Jagden im nicht weit entfernten Forst oder dem freizeitlichen Leben im Schloss hinzugeben, haben sich v. Hugos weiterer wichtiger regionaler Projekte angenommen. Ein unter Denkmalschutz stehendes, bäuerliches Anwesen gegenüber dem Schloss wurde als Unterkunft „Vis-à-Vis“ ab 2007 saniert. Dort stehen nun fünf Doppelzimmer mit jeweils eigenen Bädern Feriengästen zur Verfügung. „Es gibt in der Region nur sehr wenige Unterkünfte, aber die braucht es zur Entwicklung von Tourismus“, sagt Stefanie v. Hugo. Die neue Schnellbahnstrecke nach Bamberg, dreieinhalb Stunden benötigt der ICE nunmehr von Berlin aus, hat am Tourismus in den kleineren Orten nichts geändert. Die unterfränkischen Besuchermagneten sind Coburg und vor allem Bamberg mit allein über sechs Millionen Tagesbesuchern. Die Region selbst bleibt „Auswanderungsgebiet“, wie es die Schlossherren nennen, und „Durchfahrtsstrecke für alle in Richtung Bodensee“. Problematisch ist das vor allem für die dörfliche Infrastruktur. Einkommensmöglichkeiten gibt es kaum, Kleingewerbe und Landwirtschaft fallen zunehmend weg bzw. werden oft nur noch nebenberuflich ausgeübt. Gaststätten und Supermärkte schließen, und selbst manche Kirche und deren Gemeinde wird nur noch unregelmäßig betreut.

Fachwerkanwesen

Neue Chancen für das Dorf

„Die beiden größten Sünden sind allerdings der Wettlauf der Bürgermeister um die Gewerbesteuer und die Gefährdung der alten Dorfstruktur durch Ausweisung von Neubaugebieten!“, platzt es wütend aus Christopher v. Hugo heraus. „Lidl, Aldi, Rewe auf der grünen Wiese, und im Dorfkern ist alles tot“, ergänzt Stefanie v. Hugo. Denn die ohne viel Sinn und Verstand am Reißbrett geplanten Discounter kleben auch in Unterfranken allenthalben wie Geschwüre am Ortsausgang. Mancherorts stehen nach kurzer Zeit nur noch leere Hallen ohne Verwendung traurig in der Gegend herum. „Ältere Leute schaffen den Weg bis zu den Märkten oft gar nicht und müssen sich Lebensmittel mitbringen lassen“, erklären v. Hugos, deren nächste Einkaufsmöglichkeit bis vor Kurzem noch in 14 Kilometer Entfernung lag. Das jedoch ist seit November 2017 Geschichte, denn ihre Grundbedürfnisse kann die Familie seither im neu eröffneten Lebensmittelladen „Lädla“ im Nachbardorf Burgpreppach decken. Betrieben wird er von der Arbeiterwohlfahrt, beherbergt in einem denkmalgeschützten Gebäude im Ortskern, den v. Hugos saniert und zur Verfügung gestellt haben, um die Infrastruktur der Gemeinde zukunftsfähig zu machen. Mit einem dem Laden angeschlossenen Café haben sie zudem einen neuen Mittelpunkt des Dorfs geschaffen. „Zwar wartet der Franke mit seinem Urteil nicht lange ab, aber er ist grundsätzlich wohlwollend, wenn er merkt, dass etwas für die Region getan werden kann“, sagt Christopher v. Hugo. Für reichlich Aufbruchsstimmung sorgt auch ein weiteres Konzept der Familie. Sanierung und Umbau des seit 2008 geschlossenen Gasthauses „Zum Goldenen Löwen“ sollen 2018 abgeschlossen, ein neuer Pächter für das Traditionshaus gefunden werden. Ein Ärztehaus und betreutes Wohnen sind die nächsten Schritte im Hugo’schen Gemeindeentwicklungskonzept, das aus viel Engagement, dem Einsatz nicht unerheblicher eigener Mittel und dem Mitreißen von Bürgermeister und Dorfbevölkerung besteht.

 

„Ein Reiterdenkmal wird man uns in Franken trotzdem nicht aufstellen“, lachen Stefanie und Christopher v. Hugo, „aber wir haben die Chance, vor Ort etwas auszuprobieren, ohne permanent hochgelobt oder angegangen zu werden. Und da die Leute nun gesehen haben, dass das Ganze tatsächlich etwas bringt, sind immer mehr auch dazu bereit mitzumachen.“ Gute Aussichten für Leuzendorf!