Schloss heyda

Gewagt & gewonnen

Mit Mut und viel Geschick erweckte Familie v. Carlowitz das Rittergut Heyda in Sachsen zu neuer Blüte.

Von Dorothee Gräfin v. Walderdorff

Hunde, die am Gartenzaun bellen, müssen zupacken, wenn der Zaun fällt“, sprach sich Georg v. Carlowitz selbst Mut zu, als die Mauer fiel und eine Rückkehr in die alte sächsische Heimat in greifbare Nähe zu rücken schien. Das hatte er nicht zu hoffen gewagt – und noch drei Jahre zuvor mit seiner Frau Margarete einen Landwirtschaftsbetrieb am Rande der spanischen Mancha gekauft. Dorthin hatten sie ihre vier Kinder Christoph, Johannes, Anna und Benita 1989 zum Familienrat unter dem Weihnachtsbaum zusammengerufen.

Die Spannung war groß, die Hoffnung noch größer. Georg Christoph v. Carlowitz plante, ins sächsische Falkenhain, den Sitz seiner Vorfahren, zurückzukehren.

Als ZwölfJähriger war er 1945 von dort mit seinen Eltern und Geschwistern deportiert worden. Sie wurden in Colditz und Rügen inhaftiert. 1949 gelangte er über die grüne Grenze in den Westen. 1961 heiratete er Margarete v. Pfuhlstein. Das Paar bekam vier Kinder und baute ein Haus in Geilenkirchen im Rheinland. Gemeinsam mit seinem Freund Franz Frhr. v. Eynatten (Trips) machte er sich als Versicherungsmakler selbstständig, bevölkerte sein Grundstück mit vielen Tieren – ein kleiner Bauernhof im Wohngebiet.

Ab Herbst 1990 bewarben sich Georg Carlowitz und sein Sohn Johannes um Flächen der Treuhandanstalt in Falkenhain. Sie bekamen den Zuschlag, mit einer Stimme Mehrheit durch das Votum des Kreispachtausschusses. Mit einem einjährigen Pachtvertrag über 250 Hektar Ackerland, konnte Johannes, damals 25-jährig und BWL-Student in Berlin, am 1. November 1991 die erste Herbstsaat ausbringen. Bis 1994 wirtschaftete er von seiner Studentenbude aus.

Als 1993 die benachbarte „Agrargenossenschaft (Tierproduktion) Philipp Müller Dornreichenbach“ liquidiert wurde, sammelten auch Georg und Margarete v. Carlowitz all ihren Mut, all ihre Sehnsucht – und sprangen. Sie verkauften ihr Haus und das Versicherungsbüro, nahmen einen Kredit auf und Abschied von ihrem bisherigen Leben. Sie setzten alles auf eine Karte, kauften 300 Milchkühe mit Nachzucht und 750 Zuchtsauen samt der landwirtschaftlichen Gebäude und Traktoren mit stotternden Motoren. Da die LPG auf fremdem Grund gebaut hatte, gehörten ihnen zunächst nicht einmal die Grundstücke unter den Gebäuden. Die Ackerflächen waren nur gepachtet.

Hofgarten

Ein Schloss für einen Euro

Kurz darauf bot die Gemeinde der Familie Schloss Falkenhain zu einem symbolischen Preis von einem Euro an. Die rote Mehrheit im Rat verweigerte ihre Zustimmung. „Man wolle die Errungenschaften der Bodenreform nicht aufgeben“, erfuhr Carlowitz. Stattdessen erhielten zwei Musiker aus Leipzig den Zuschlag.

Als 1995 Johannes v. Carlowitz und Felicitas v. Livonius beschlossen zu heiraten, waren zwei Generationen auf Wohnungssuche. Gleichzeitig verfiel zwei Kilometer von Falkenhain entfernt das Schloss von Verwandten: das ehemalige Rittergut Heyda. Hier hatten die Herren v. Carlowitz-Hartitzsch gelebt, bis auch sie im Herbst 1945 deportiert wurden. Der Rat des Kreises hatte Schloss Heyda bis 1991 als Kinderheim genutzt. Seitdem stand das Barockschloss, erbaut im 15. Jahrhundert, leer. Nur in Nebengebäuden betrieb die Arbeiterwohlfahrt eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung.

Mit dem Segen der Erbengemeinschaft Carlowitz-Hartitzsch traten die Wiedereinrichter erneut in den Ring. Nach zähen Verhandlungen mit dem Kreis konnten sie das Wohnhaus als Zwei-Generationen-Wohnsitz erwerben. Aber: Der Hof samt Nebengebäuden gehörte der Gemeinde bzw. ehemaligen Siedlern, Park und Teich der BVVG. Erst 1997 war alles arrondiert.

Am Tag vor ihrer Hochzeit, im Oktober 1995, unterschrieb Johannes v. Carlowitz den Kaufvertrag. Nach ihrer Hochzeitsreise wurde das junge Paar von der örtlichen Feuerwehrkapelle mit einem Ständchen vor der Haustür empfangen. Ein positives Signal! „Ich hatte durchaus befürchtet, das Bild vom ‚Klassenfeind‘ spuke noch in vielen Köpfen“, erklärt Felicitas v. Carlowitz in unserem Telefoninterview.

Das einstige soziale Miteinander im Mikrokosmos Gutshof hatten viele Dorfbewohner nie erlebt, waren selbst erst nach dem Krieg als Flüchtlinge nach Heyda gekommen. „Wir waren die Neuen, trotz 700-jähriger sächsischer Familiengeschichte“, erinnert sich Felicitas v. Carlowitz. Die DDR-Zeit hatte dazu geführt, dass sich die Rolle und die Erwartungen an die Schlossbewohner wandelte. „Vieles, was vor dem Krieg in der Verantwortung der Gutsherren lag, wie die Fürsorge für die Mitarbeiter und ihre Familien, wird heute vom Staat oder professionellen Hilfsdiensten übernommen. Das entlastet, verändert aber auch die Beziehungen. „Man lebt hier schon egalitärer als in den alten Bundesländern, wo die traditionellen Strukturen eher erhalten blieben“, beobachtet Felicitas v. Carlowitz. „Dass man sich aktiv einbringt, wird aber – zu Recht – erwartet.“ Die Dorfgemeinschaft kommt entsprechend zu Ostern, zum Erntedank und zum Weihnachtsmarkt in Haus und Park zusammen, versammelt sich zum Public Viewing von Fußballmeisterschaften.

Es ist ein fröhliches Beisammensein, das die Carlowitzens sich während ihrer ersten Monate in Heyda nicht hätten vorstellen können. Das junge Paar bewohnte zunächst winzige Kämmerlein unter dem Dach. Es gab kein Telefon, zunächst kein fließendes Wasser und später nur einen warmen Raum, das Bad. Alles, was sich wegtragen ließ, war konfisziert oder gestohlen worden. Studentisch geübt, improvisierte man, lebte mit Mut zur Lücke. Beim Jagddiner nach ihrer ersten Jagd im 1997 zurückerworbenen Falkenhainer Wald (300 Hektar) empfahlen sie ihren Gästen, lange Unterhosen unter Smoking und Abendkleid zu tragen.

Anlage

Stuck und WLAN

Stets bemüht, die alte Schönheit denkmalgerecht zu erhalten und moderne Technik zu integrieren, kämpfte die Zwei-Generationen-WG gegen die Folgen jahrzehntelanger Vernachlässigung.

Ein Jahr lang setzte Felicitas v. Carlowitz ihr Jura-Studium aus, dann lernte sie für das Staatsexamen, absolvierte ihr Referendariat (sehr clever) bei den örtlichen Kreisbehörden. Mit Akribie und Durchhaltevermögen erwirkte sie im Restitutionsverfahren die Rückgabe vieler in Heyda und Falkenhain im Rahmen der sogenannten Schlossbergung konfiszierten Einrichtung. Im geborgten LKW fuhren Johannes und Felicitas v. Carlowitz beim Dresdner Zwinger, dem Albertinum und Schloss Pillnitz vor, um Bilder und Möbel heimzuholen.

Das Haus füllte sich mit Ahnen, Antiquitäten – und jungem Leben: 1997 wurde Antonia geboren, Lily (benannt nach ihrer Urgroßmutter Carlowitz, der letzten Eigentümerin von Falkenhain) 1999, Maya kam 2001 zur Welt, Eva-Letitzia 2004 und Florian 2007.

Bald nach Antonias Geburt verkündete Judith Brand, geb. v. Carlowitz-Hartitzsch: „Entweder ich komme ganz nach Heyda zurück, oder ich komme nie wieder!“ Die Tante, einst in Ostdeutschland enteignet, bis 1989 kreisverwiesen, kam aus der DDR und blieb mit all ihren Tieren bis zu ihrem Tod 2006. Vier Jahre später starb Georg Christoph v. Carlowitz. Für beide erfüllten sich mit der Rückkehr nach Heyda Lebensträume, wurden alte Wunden geheilt.

Angekommen in der alten Heimat

Das Rittergut ist wieder ein strahlendes Zentrum der Familie. Johannes v. Carlowitz bewirtschaftet heute einschließlich Pachtflächen etwa 1000 Hektar Landwirtschaft und 400 Hektar Wald. Wie sein Urahn Hans Carl v. Carlowitz, der als einer der Ersten schon vor 300 Jahren den Begriff der Nachhaltigkeit prägte, hat für Johannes v. Carlowitz der ressourcenschonende Umgang Priorität. „Dabei gilt es, die Belange der Ökologie, der Ökonomie und der Soziologie in ein dauerhaftes Gleichgewicht zu bringen“, erklärt der Landwirt.

Fast alle zum Rittergut gehörenden Gebäude wurden renoviert, immer mit der Aufgabe zum Return on Investment. Im Torhaus leben drei Parteien als feste Mieter. Die Ferienwohnungen im „Gärtnerhaus“, im „Rosencottage“ und eine im Schloss erfüllen alle Erwartungen vom Landurlaub im historischen Ambiente.

In der mit Antiquitäten eingerichteten Schlosswohnung schlafen die Gäste im Himmelbett, im romantischen „Rosencottage“ kann man ländliche Ruhe mit Seeblick genießen. Die kulturell interessanten Städte Leipzig, Torgau, Dresden und Meißen sind gut zu erreichen. Ferien in Deutschland sind wieder beliebt. „Heyda wurde viel gebucht“, berichtet Felicitas v. Carlowitz. Die Immobilienverwaltung und -instandsetzung ist ihr Aufgabenbereich. Für die Umnutzung alter Gebäude machte sie eine ganze Reihe von Spendentöpfen ausfindig: Zuschüsse für den Landtourismus von der EU, Unterstützung vom Denkmalschutz und Zuwendungen aus dem Dorferneuerungsprogramm flossen in den Wiederaufbau des alten Ritterguts.

Darauf ausruhen? Das gilt nicht! Auf dem Feld, im Wald und auch auf dem Hof gibt es ständig Ideen für neue Projekte. Eines davon ist „Glamping“ (Abkürzung von „glamorous camping“). Feriengäste können ihr Zelt auf einer Streuobstwiese aufschlagen, Dusche und WC sind auf kurzem Wege zu erreichen. Folgen soll ein Hofladen für „0-km-Produkte“ im alten Stall, später vielleicht ein Hofcafé …

Gemäldegalerie

Entvölkerung im ländlichen Raum

Für das kleine Dörfchen Heyda wäre ein Hofcafé eine echte Bereicherung. „Früher“, so erzählt die zur passionierten Landfrau mutierte Städterin, „gab es in Heyda noch einen Laden, Vereine, eine Feuerwehr, eine Poststelle und einen Kindergarten. Jetzt müssen die Bewohner mit einem Briefkasten und einer Bushaltestelle vorlieb nehmen.“ Viele, vor allem junge Menschen, zogen in die Stadt. Heyda hat nur noch 160 Einwohner.

Der erste Lockdown aber hat die Bindung unter den Gebliebenen gestärkt. Die Dorfbewohner kommunizieren über eine Whatsapp-Gruppe, die Gemeinschaft hat jetzt einen virtuellen Tauschmarkt, auf dem Eier, Gemüse oder auch junge Pflänzchen angeboten, Neuigkeiten ausgetauscht oder gemeinsames Musizieren und Pflanzaktionen verabredet werden.

Beflügelt vom Zuspruch, regte Familie v. Carlowitz die „Wiederbelebung der dörflichen Qualitäten“ an. Man holte die Maikirschen nach Heyda, eine Beratungsfirma, die im Auftrag der Landesregierung gemeinsam mit der ländlichen Bevölkerung Strategien zur Dorfentwicklung erarbeitet, und recherchierte mögliche Fördermaßnahmen. „Auf dem Land braucht man Kreativität und Eigeninitiative“, betont Felicitas v. Carlowitz zum Abschied.

Mehr Infos: www.rittergut-heyda-carlowitz.de